The Beat Goes On

Am 22. Februar 2021 starb Lawrence Ferlinghetti. Ich hatte ihn schon gar nicht mehr auf dem Schirm, aber die Todesmeldung zauberte mir sofort auch all die anderen Autorinnen und Autoren der Beat Generation wieder ins Gedächtnis: Allen Ginsberg, Carolyn Cassady, William S. Burroughs, Diane di Prima, Harold Norse und allen voran: Jack Kerouac. Ewigkeiten her, dass ich von denen was gelesen habe. Also schaute ich durch die Regale und fand dann doch noch eine Handvoll Bücher.  Das meiste (nämlich drei Titel) hatte ich noch von Kerouac, ferner das Erinnerungsbuch Heart Beat von Carolyn Cassady, die versauten Stories von Diane di Prima (Nächte in New York) und die Lebensgeschichte des Jack Kerouac von Frederik Hetmann. Das wundervolle Beat Hotel von Harold Norse, 1975 im Maro Verlag in der Übersetzung von Carl Weissner erschienen, war nicht mehr da. Keine Ahnung, wo das abgeblieben war. Bewusst aussortiert hatte ich es nie. Vielleicht versuche ich, das Buch von Harold Norse noch einmal aufzutreiben.


Die Bücher von Burroughs allerdings doch. Soft Machine, Nova Express, Naked Lunch, The Last Words of Dutch Schultz – sie alle standen lange genug in meinem Regal. Ich war anfänglich fasziniert von dieser unüblichen Schreibe, diesem abgehackten Stil, den Stellen, die sich die Verlage nicht zu übersetzen trauten (vor allem bei Naked Lunch). Doch irgendwann ödete mich das an, und die Bücher landeten in der Flohmarktkiste. Burroughs hat es im realen Leben bis 1997 geschafft, ist dreiundachtzig geworden, trotz seiner Drogen und Exzesse.

Ob es sich bei den anderen noch lohnte? Ich schnupperte bei di Prima. Ja, das war schon etwas anderes. Die gewollt erotischen Beschreibungen – allesamt erfunden, keine echten Erinnerungen – ermüden schnell, aber ihre skurrilen, teilweise urkomischen Charakterisierungen machen immer noch Spaß und lockern die erotischen Nichtigkeiten auf. (»Ich weiß nicht mehr, wann oder wie Henry mit den großen Ohren dazukam. Er war ein zerstreuter Brummelkopf und die Sanftmut in Person … Henry war klein, aber gut ausgestattet, mit einem langen, schlanken, schöngeformten Schwanz und einem geschmeidigen Körper. Auf Kokain war sein Durchhaltevermögen enorm.« – aus: Nächte in New York, S. 100). Diane di Prima starb am 25. Oktober 2020, sozusagen als Vorletzte der Beat Generation.

Carolyn Cassady starb 2013. Ihr Werk besteht, soweit ich das recherchieren konnte, nur aus zwei Büchern, die autobiografischen Charakter haben. Immerhin wurde ihr erstes sogar verfilmt (1982). Ich hatte es positiv in Erinnerung, und tatsächlich las sich das schmale Bändchen Heart Beat auch nach all den Jahren gut an. Ich war gleich wieder drin. Es ist anspruchslos, locker geschrieben, wie ein Gespräch unter Freunden, die ohne Hemmungen einander berichten. Doch ich legte das Buch nach wenigen Seiten wieder weg und griff lieber zur Kerouac-Biografie von Hetmann. Die las ich dann fast in einem Rutsch durch. Gut dreißig Jahre stand das Buch im Regal, damals gern gelesen und diesmal wieder. War auch fast alles vergessen, zumindest die Details. Das Leben dieses bekanntesten aller Beat-Autoren war mir durchaus noch vertraut, vor allem sein Versagen, mit dem Leben und dem ganzen Rest klarzukommen. Hetmann schildert das gut. Er vermeidet jede Heroisierung und Überhöhung, schildert aber auch die problematische Seite des Dichters, und zwar ohne erhobenen Zeigefinger und moralische Wertung. Man kann sich sein eigenes Bild machen, am besten auch selbst von jeder moralischen Einordnung Abstand nehmen.

Kerouacs berühmtestes Buch Unterwegs (On the Road) habe ich nicht mehr, das ist irgendwann seine eigenen Wege gegangen. Damals, in den 70ern, gehörte das in jede ordentliche Studentenbude direkt neben die rote Mao-Bibel. Be-Bop, Bars und weißes Pulver (The Subterraneans) und Engel, Kif und neue Länder (Passing through) sind in zerfledderten, beschmutzten, extrem nachgedunkelten rororo Taschenbuchausgaben noch vorhanden. Ob ich sie noch einmal lese? Ich weiß es nicht, vielleicht doch, vielleicht besorge ich mir Unterwegs aber noch einmal. In besserem Zustand ist das Insel-Taschenbuch Lebendiger Buddha, es wurde auch erst vor ein paar Jahren gekauft. Kerouac erzählte die Geschichte, oder besser: die Legenden um Buddha, neu. Er scherte sich dabei nicht um die verschiedenen »Schulen«, sondern brachte alles in eine lesbare Fassung. Es ist fast schon ein Roman. Zu seinen Lebzeiten wurde es nicht veröffentlicht. Es erschien posthum erst 2008, in deutscher Übersetzung 2011. Kerouac starb bereits 1969, als einer der Ersten der Beatnicks.

Nun hat also der Letzte der Beat Generation das Zeitliche gesegnet. Fast 102 Jahre alt ist Lawrence Ferlinghetti geworden, der Dichter, der auch Buchhändler war. Nicht wenige seiner Gedichte wurden ins Deutsche übersetzt. Ich werde mir demnächst einen seiner Gedichtbände besorgen. Ganz zum Schluss legte er noch einen Roman vor, Little Boy, in deutscher Übersetzung bei Schöffling (2019). Ob ich den lesen möchte? Ich weiß noch nicht. Die Frage, ob es überhaupt noch lohnt, Bücher der Beat Generation zu lesen, beantworte ich mit: Ja. Es ist zwar ein halbes Jahrhundert vergangen, seit der wichtigste gestorben ist, doch die Fragen, die Kerouac & Co damals nicht beantworten konnten sind bis heute nicht beantwortet, so dass die Bücher nicht vordergründig nur von einer vergangenen Zeit erzählen, sondern auch davon, wie man seine Unsicherheit überhaupt sichtbar machen kann. Wenigstens für andere. Und es sind poetische Bücher, nicht nur die von Kerouac, Ginsberg und Ferlinghetti.

Horst-Dieter Radke

Teilen: