Die Reise vom Ruhrgebiet nach Leipzig stimmte mich schon auf die literarischen Themen der folgenden vier Tage ein, denn mir begegnete unterwegs mehrfach eines meiner liebsten rhetorischen Stilmittel: das Paradoxon. Oder wie würdet ihr die Tatsache benennen, dass im Salzland-Kreis eine riesengroße Zuckerfabrik steht? Seht ihr, da ging es schon los. Mein Weg führte mich weiter mit meinem alten Wohnmobil über Schrödingers Autobahn, wo man mit einem Reifen in Sachsen und mit dem anderen in Sachsen-Anhalt fährt. Während ich noch über die A14 und die schöne Harzdurchquerung nachdachte, bog ich am Leipziger Hauptbahnhof von der so genannten Preußenseite auf die Sachsenseite ein. Kannste dir och nich ausdenken. (Diesen Bahnhof, der Europas größtes Shoppingerlebnis bieten soll, hatte ich mir übrigens irgendwie anders vorgestellt, aber sei’s drum. Da hat ja jede:r andere Vorstellungen.)
Dafür war die Buchmesse genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte: die Gänge vollgestopft mit Buchbegeisterten, die Messehallen ausgefüllt mit Geräuschkulisse, prall gefüllte Veranstaltungspläne, den Kopf voller Eindrücke und Inspiration, das Herz angefüllt mit netten Begegnungen. Lustigerweise treffe ich – meist durch Zufall – fast nur Autorenkolleg:innen, die ich das ganze Jahr über auch zuhause treffen könnte.
Anders verhielt es sich mit 42er-Kollegin und Neu-Verlegerin Patricia Holland Moritz aus Berlin, die ich zuletzt vor etlichen Jahren in Putlitz erst- und einmalig getroffen hatte. Nun stand ein Besuch am Verlagsstand an. Die gut gelaunte Patricia blätterte für mich durch das satirische Verlagsprogramm von Bärmeier & Nikel. (Spannend zu beobachten, wie einige Standbesucherinnen zuweilen erst skeptisch auf Buchtitel und Werbematerial schauten, miteinander flüsterten und schließlich erleichtert raunten: „Ah, Satire!“) Weitermachen, sage ich da nur: Die Literaturwelt braucht genau euch und eure Bücher!
Eine weitere liebe 42er-Kollegin konnte ich ebenfalls wieder einmal in die Arme schließen: Dorrit Bartel (frisch aus dem Senegal zurück). Bei einem Messekäffchen plauderten wir ein Stündchen. Spannend, was sich seit unserem letzten Zusammentreffen in Berlin in Sachen Schreiben und Veröffentlichungsplänen so alles getan hat. Wir freuen uns auf jedenfalls alle auf deinen Roman, liebe Dorrit!
Für Fachgesimpel und Interviews stellte die Messeplanungsabteilung eine sehr wohnliche Lounge für die Bloggerszene zur Verfügung. Fünf-Sterne-Bewertung von mir dafür. (Okay, nur vier – einen Stern ziehe ich dafür ab, dass man da nicht direkt einziehen kann. Schade, gemütlich und praktisch wär’s ja.)
Für mich wäre es jedenfalls der perfekte Platz: stapelweise wirklich schöne Bücher zum Stöbern und ein bisschen Abgeschiedenheit inmitten des Gewusels da draußen. Wenn man sich dann doch ins Gewühl stürzen möchte, findet man in der riesigen Glashalle nur ein paar Schritte entfernt unzählige hochkarätig besetzte Veranstaltungen, beispielsweise das berühmte Literarische Quartett. Auch die Aufzeichnung von Fernsehsendungen lag hoch in der Publikumsgunst. So habe ich mich zweimal unters Volk gemischt und konnte Katty Salié, Botschafterin der Deutschen DepressionsLiga, in deren Vorstand ich ehrenamtlich aktiv bin, ein wenig bei der Entstehung einer aspekte-Sendung beobachten. Schreibende Schauspieler:innen im Interview – „große Namen“ auf der großen Bühne.
Zwischendurch mag ich es allerdings gerne eine Nummer kleiner und vor allem ruhiger. So wechselte ich in eine der Hallen zur NRW-Literaturbühne, besuchte die Lesung eines anderen Schauspielers und Autors: Jörg Hartmann stellte sein aktuelles Buch „Der Lärm des Lebens“ vor. Da er als Dortmunder Tatort-Kommissar natürlich ebenfalls einem breiten Publikum bekannt ist, lockte er knapp 200 Interessierte an. Zack, wieder Gedränge, und so stand ich etwas unbequem unter einer Deko-Zimmerpalme. (Lohnte sich aber.)
Jörg Hartmann (Foto: Stephan Schröder)
Dann stand ein kurzweiliger Interviewtermin mit dem Meister der Ostfriesland-Krimis, Klaus-Peter Wolf, auf dem Programm. Gemeinsam mit dem Hertener Veranstalter und Autor H. C. Scherf (links im Bild) habe ich ihn interviewt und letzte Absprachen für seine Lesung bei uns im Kreis getroffen. Sehr spannend, wie ein millionenfach verkaufter und zigfach übersetzter Schriftsteller so arbeitet! Ich war sehr beeindruckt von seiner (oftmals auch nächtlichen) Schreibdisziplin und seiner Authentizität. Gemeinsamkeiten bei der Schreibroutine haben wir nicht finden können, denn fürs Analoge könnte ich mich nicht begeistern. Statt Füller-mit-Heft ist mir mein Laptop zum Tippen tausendmal lieber! Nett war’s allemal, und ich freue mich sehr auf seine Krimi-Lesung, die ich Ende August moderieren darf.
K.-P. Wolf/Claudia Kociucki (Foto: H.C.Scherf)
Da ich gerade in der Ecke mit den großen Verlagen war, habe ich die Gelegenheit genutzt, mich dort ein wenig umzusehen. Reclam hat mich – wie immer – mit seinem aufgeräumten Farbkonzept angesprochen. Mein innerer Monk war zufrieden, bis auf die Tatsache, dass in Kafkas Jubiläumsreihe anscheinend niemand aufgeräumt hatte. Dafür war ich inhaltlich sehr überzeugt – sowohl von der Neuauflage mit eigenem Design als auch von der Idee, Büchners Woyzeck in Jugendsprache herauszugeben. Gönn dir! Reihenweise.
Meinen persönlichen Messeabschluss bot am Samstag die „Leipziger Autor:innenrunde“, die ich seit ihrer Entstehung vor elf Jahren schon mehrere Male besucht hatte. Sie hat sich mittlerweile zur größten Tagung für Autorinnen und Autoren in Deutschland entwickelt und bot an 22 runden Tischen Fortbildungen und Vorträge in sechs Zeitslots an. Ich selbst war in diesem Jahr als Referentin gebucht. Der Andrang an meiner Tischrunde hat mich riesig gefreut – „Wirkungsvolle Dialoge schreiben“ scheint ein wichtiges Thema und ein Dauerbrenner zu sein. Das Tagungsformat auf Augenhöhe kann ich wirklich empfehlen.
Zum Schluss noch eine Empfehlung, die von Herzen (und aus Erfahrung) kommt: Die 2024er Gastregionen Niederlande und Flandern hatten „Alles außer flach“ zu ihrem Messe-Slogan auserkoren. Alle, die schon einmal auf einer der großen Buchmessen unterwegs waren, wissen: Da macht man zu Fuß stunden-, wenn nicht tagelang richtig Kilometer. Daher mochte das Motto zwar literarisch und regional gelten, was die Auswahl des Schuhwerks anbelangte, war es (wie immer) wenig sinnvoll. In diesem Sinne.
Es winken in die Kamera
Ihre und eure Claudia Kociucki und ein Mitglied meiner Lieblings-Boygroup aus Kindertagen (deren Namen ich mir nie haben merken können).
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