Christophs Osterei

Vom Wert des Nichtstuns

Es gibt immer wieder Momente, da ist mein Kopf einfach voll. Reizüberflutung bis zum völligen Tilt. Ich fühle mich dann wie ein überstrapazierter Flipper. Und genau wie bei dem Flipper hilft nur warten. Sollten Sie das Problem kennen, möchte ich Sie hiermit einladen, meine Vorgehensweise einmal auszuprobieren. Ich wende ein mittlerweile gut erprobtes Verfahren an, das aus vier Schritten besteht und in dessen Zentrum das bewusste Nichtstun steht. Nebenbei habe ich bemerkt, dass es sich auch gewinnbringend in den kreativen Prozess einbinden lässt. Um das Verfahren auszuprobieren, benötigen Sie lediglich zwei Dinge: Sich selbst und einen geeigneten Ort. Alles Weitere ist Übungssache.

Mein Übungsort ist ein Sofa. Ein Sessel ist genauso gut geeignet, sofern er die Möglichkeit für kurze Nickerchen bietet. Ausschlaggebend ist die Bequemlichkeit, das Nichtstun kann sonst ziemlich anstrengend werden. Außerdem erfüllt das Sofa zwei weitere wichtige Eigenschaften: Erstens befindet es sich in Fensternähe und zweitens verfügt es über eine Ablage. Manchmal kommt man nicht umhin, das Nichtstun für kaum vermeidbare Tätigkeiten wie Kaffeetrinken oder Lesen zu unterbrechen. Ich habe jedoch festgestellt, dass Unterbrechungen den Übungseffekt mindern, Sie sollten diese also auf das absolute Mindestmaß beschränken. Und das ist auch bereits die erste Lektion: Lassen Sie sich beim Nichtstun keinesfalls unterbrechen. Nun zu den vier Übungsschritten.

1) Fläzen

Gemeint ist ein vollkommen entspanntes Sich-gehen-lassen des gesamten Körpers. Breiten Sie dazu Arme und Beine aus und strecken Sie sich ausgiebig. Gähnen Sie, wenn Sie möchten. Atmen Sie mehrmals tief ein und aus. Sobald Sie ein leichtes Kribbeln verspüren, holen Sie ein letztes Mal tief Luft und atmen dann betont langsam aus. Erschlaffen Sie dabei, als wären Sie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt.

2) Aus-dem-Fenster-schauen

Erklärt sich beinahe von selbst. Zu warnen ist lediglich vor der schädlichen Neigung, zu dem Gesehenen gleich wieder Gedanken haben zu wollen. Lassen Sie sich nicht beirren, Sie schaden sich nur selbst. Denken ist Handeln und beides gilt es hartnäckig zu vermeiden.

3) Sinnieren

Vermutlich haben sie immer noch Gedanken. Grämen Sie sich nicht. Es ist im Anfangsstadium durchaus legitim, unnützen Gedanken nachzugehen. Sie sollten jedoch konsequent jeden logischen oder eine Handlung hervorrufenden Gedanken vorbeiziehen lassen wie Wolken im Wind.

4) Duseln

Das regelmäßige Training der Schritte 1 bis 3 führt bei mir zu einem Zustand, der dem Halbschlaf nicht unähnlich ist. Sichere Anzeichen des Duselstadiums sind eingeschlafene Gliedmaßen, Verlust des Zeitgefühls oder unwillkürliches Augenschließen, das bis zum Einschlafen führen kann. Diesem Bedürfnis dürfen Sie uneingeschränkt nachgeben.

Die vier Schritte gestatten dem Unterbewusstsein, mal so richtig durchzufegen. Es fügt zusammen und sortiert aus. Ich nutze das beispielsweise nach der Recherche für eine Kurzgeschichte. Das gezielte Nichtstun gibt den angehäuften Bildern, Eindrücken und expliziten Informationen Zeit, sich zu einem konsistenten Ganzen zu formen und sich während des Schreibens von mir selbst unbemerkt in die Geschichte zu mogeln. Versuchen Sie es!

Ihr Christoph Junghölter

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