Im Büchertauschladen bei mir um die Ecke fand ich kürzlich ein Buch aus der Reihe neue frau. Die Älteren werden sich vielleicht erinnern, das war eine Reihe, die zwischen 1977 und 1997 bei rowohlt erschien und Frauen sichtbarer machen sollte. Vor allem ungewöhnliche Frauen. Der Streit um Gleichberechtigung wurde damals anders geführt, und ich sozialisierte DDR-Bürgerin verstand ihn oft gar nicht, als ich ab 1990 da hineingezogen wurde. Aber ich habe damals hin und wieder Bücher aus dieser Reihe gelesen und deshalb hatte mein Griff zu Nur ein paar Inseln weiter auch etwas Nostalgisches. Ich nahm es übrigens im Tausch für Doris Lessings Afrikanische Tragödie in der Lizenzausgabe des damals ostdeutschen Aufbau Verlags in seiner Reihe Taschenbibliothek der Weltliteratur. Scheint, dass es in der DDR keine Reihe neue frau brauchte, um weibliche Stimmen zu hören, aber das ist ein anderes Thema.
Nur ein paar Inseln weiter erzählt von einer Amerikanerin, die auf die Fidschi-Inseln reist, um sich einen Ehemann zu suchen: Joana McIntyre Varawa. Ausgangspunkt ihrer Reise auf die Inseln war die Einsicht, dass sie des amerikanischen Lebens müde geworden war. Die dort herrschende Individualisierung empfand sie als Vereinsamung und sie wollte Teil einer Gemeinschaft werden. Zunächst verfolgt sie die Suche nach einem Ehemann nur halbherzig, erwähnt die Idee aber immerhin einer Bekannten gegenüber, die sich umsehen will. Doch ehe sie in ihrer eigenen Familie einen geeigneten Kandidaten findet, trifft Joana auf Malé, für den sie sich interessiert und der ihr auch von dessen Familie als geeigneter Ehemann angeraten wird. Eine Amerikanerin in der Familie schafft finanzielle Möglichkeiten. Dieser Aspekt der sich entwickelnden Beziehung zwischen Joana und Malé wird erfreulich nebensächlich abgehandelt und es entsteht nie der manchmal bei solchen Konstellationen unangenehme Eindruck, dass Joana sich in die Familie einkauft. Das liegt auch an Joanas Art, sich in die Familie einzufügen, eben Teil der Gemeinschaft zu werden und sich neugierig und unvoreingenommen den Ritualen anzunähern, zum Beispiel den regelmäßigen Yaqona-Gelagen, die ganze Nächte hindurch dauern können und den Zusammenhalt von Familien und Gruppen stärken.
Besonders gefällt mir der nüchterne Tonfall ihres Berichts (Ein Bericht ist auch der Untertitel des Buchs). Joana gibt nicht vor, von einer Sekunde zur nächsten von großen Gefühlen übermannt worden zu sein und – à la „Die weiße Massai“ – mit Hilfe dieser Liebe alle Schwierigkeiten zu ertragen. Ihre Motive sind andere: Sie will in eine Kultur eintauchen, in der Familie und Gemeinschaft über allem stehen und möchte Teil dieser Gemeinschaft werden, meistens jedenfalls. Es gibt auch die Tage, an denen sie ihre Koffer packt, weil ihr der Mangel an Privatsphäre unerträglich ist. Weil sie Malés Verschlossenheit nicht erträgt, wenn er den tevoro, einen bösen Geist, gesehen hat. Weil sie darunter leidet, dass Malé keine Zärtlichkeit zeigt, weil die in seiner Kultur nicht vorkommt. Romantisch ist diese Liebe in der Südsee nicht, aber ganz langsam wachsen Vertrauen und Vertrautheit zwischen den beiden, die tatsächlich in eine Hochzeit münden. Joana wird Teil von Malés Familie, so wie sie es sich bei der Ankunft auf den Fidschis vage vorgestellt hat. Sie taucht ein in das einfache Leben der Bevölkerung, nimmt teil an den Ritualen, sammelt Geschichten und schreibt ihren Bericht. Der hebt sich von Reiseberichten über fremde Kulturen deswegen so angenehm ab, weil sie aus dem Inneren einer Familie schreibt, respektvoll und ohne ihren eigenen kulturellen Hintergrund zum Bewertungsmaßstab zu erheben.
Ich habe im Internet nach Joana McIntyre Varawa gesucht, neugierig, ob sie womöglich – à la Elisabeth Gilbert mit „Eat Pray Love“ – diesen Bericht als Initialzündung für ihre Schriftstellerkarriere genutzt hat. Fehlanzeige. Google kennt die Autorin – zumindest unter diesem Namen – nicht. Und so hoffe ich für sie, dass sie mit Malé glücklich geworden ist und den Rest ihres Lebens bei ihrer fidschianischen Familie verbracht hat. Die amerikanische Erstausgabe erschien 1989, und bei ihrer Ankunft auf den Fidschis war Joana bereits etwa 50. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass sie nicht mehr lebt. Ob sie in Malés Nähe gestorben ist, glücklich nach einem erfüllten Leben mit ihm in seiner Familie? Ich wüsste es einerseits gern und bin gleichzeitig zufrieden, weil es noch immer ein paar Rätsel gibt, die sich nicht mit ein paar Klicks lösen lassen. So wie früher, als rowohlt noch die Reihe neue frau herausgab.
Ihre
Dorrit Bartel