Vor unserem Haus in Korea, stand ein acht Jahrhunderte alter Ginkgobaum. Acht oder neun erwachsene Männer konnten den Stamm des gewaltigen Baumes gerade umarmen. Bei einer Einladung in das Goetheinstitut in Seoul, zur Lesung von Peter Bichsel, sah ich im Treppenhaus das Gedicht Gingo biloba von Goethe. Irritiert war ich etwas über die Schreibweise, doch war mir das letztlich egal. Noch vor der Lesung von Bichsel habe ich mir das Gedicht abgeschrieben.
Seither begegnet mir Goethe sehr oft mit seinen Gingo-Gedanken. In unserem Garten stehen so um die zehn Bäume dieser Art, in allen Größen. Seit Jahren züchte ich diese außerordentlichen Bäume. Wenn ich nun nach den ersten herbstlichen, kalten Nächten morgens aus dem Fenster schaue, leuchtet es mir schon mehr und mehr golden entgegen. Die schönen Ginkgoblätter werden leuchtend gelb, fast golden. Die vier Jahreszeiten in der Natur zu entdecken, zu beobachten, ist für mich nie langweilig. Na, klar, der eine bevorzugt den Sommer, die andere eher den Winter, aber wat willze machen, Wetter is immer, wa? Als Märchenerzähler kenne ich Märchen zu den Jahreszeiten. Die herbstliche Kulisse in der Natur ist vielfach Gegenstand von Geschichten, Sagen und Märchen. Auf der kanadischen Flagge prangt groß ein Ahornblatt. Die umfangreichen Ahornwälder sind nicht nur Produktionsgeber des bekannten Ahornsirups, sondern auch ein beliebtes Reiseziel. Im Herbst zum Indian Summer einen Ausflug in die Ahornwälder zu machen, das ist schon Kult. Gut, Kanada ist nicht um die Ecke. Muss auch nicht. Wer einen schönen, gefärbten Wald sehen möchte, kann auch in den Nahen Osten fahren, nach Usedom. Dort stehen viele Ahornbäume in den Wäldern. Als ich mir das einmal ansehen wollte, war der Sommer länger als gedacht, keine kalten Nächte, kein goldener Oktober. Ach ja, von wegen goldener Oktober: Mörike war auch hin und weg von den Sonnenstrahlen im Herbst,
Im Nebel ruhet noch die Welt,
noch träumen Wald und Wiesen;
bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
den blauen Himmel unverstellt,
herbstkräftig die gedämpfte Welt
in warmem Golde fließen.
Mädchenhaarbaum, auch so wird der Ginkgobaum manchmal genannt. Wie das? Der Ginkgobaum ist eine Rarität, nicht Nadel, nicht Laubbaum, er ist geheimnisvoll, oder, wie Goethe es ausdrückte, “dass ich eins und doppelt bin“. Mädchen werden älter, sie wurden landläufig früher alte Weiber genannt. Geblieben ist der Begriff, Altweibersommer. Wenn es im Herbst noch einmal tagsüber sommerlich warm ist, die Gäste noch den Milchkaffee im Straßenkaffee trinken können, werden schon am nächsten Tag morgens häufig weiße Fäden durch die Luft wabern oder in den Sträuchern hängen. Sie sehen so aus wie die grauen Haare von alten Weibern. Tatsächlich sind sie nur Spinnenfäden. Wenn Sie sich nun schon einmal zu einem herbstlichen Spaziergang aufmachen, nehmen sie einen großen Beutel mit. Auf den Wiesen und Straßenrändern findet sich manches für den Kuchen oder zum Knabbern. Walnüsse, Haselnüsse, Birnen, Äpfel, Quitten, man muss sich nur bücken und einsammeln. In diesem Jahr gehe ich ohne Rucksack nicht vor die Tür. In den umliegenden, verlassenen Weinbergen stehen viele Walnussbäume, die in diesem Jahr reichlich tragen. Damit Sie gesund über den Herbst und auch durch den Winter kommen, können sie einen warmen Holundersaft mit oder ohne Honig trinken. Die Beeren dazu sollten Sie schon im September beim Spaziergang abgepflückt und gepresst haben. Mit einem warmen Getränk vor dem Kamin und einem guten Buch in der Hand, kuschelig im Lieblingssessel, so ist der Herbst. Was Frau Holle mit der Jahreszeit Herbst und auch im Winter so treibt, das ist eine andere Geschichte, die ich Ihnen dann als nächstes erzähle.
Ihr
Amos Ruwwe