Horst-Dieter liest: Peter Schneider – Vivaldi und seine Töchter

Es ist vier Jahrzehnte her, da saß ich in einer Aula und das Schülerkonzert wurde von der Musiklehrerin eingeleitet. Es sollte ein Concerto Grosso von Händel geben. Die Rednerin stellte ihn kurz biografisch vor und erzählte dann, dass er neben den üblichen Instrumenten wie Cembalo und Violine auch Zither hätte spielen können. Ich war damals schon irritiert, denn im Barock gab es die Zither noch gar nicht. Diese entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert aus Vorläufern wie dem Scheitholt zu der heute bekannten Form. Das, was Händel vielleicht damals gespielt haben könnte, war eher die Cister, ein Zupfinstrument, das vermutlich von der Laute abgeleitet war, allerdings mit flachem Korpus, wie jene chörig bespannt, aber statt mit Darm-, mit Metallsaiten. Der Namen gab es viele: Cyther, Zister, Zitter, aber auch Waldzither oder Thüringer Zither. Mit der alpenländischen Zither hatte das Instrument jedoch nichts gemein. Nicht nur mindestens ein Jahrhundert, sondern auch Form und Spielweise standen dazwischen.

Nun begegnet mir ein solcher „Irrtum“ erneut, und zwar in Peter Schneiders Buch Vivaldi und seine Töchter. Auf Seite 187 behauptet er, das Vivaldi bei den zwölf Violinkonzerten namens „La cetra“ mit dem Titel auf das traditionelle Instrument und Symbol der Habsburger, die Zither, anspielt. So gut sich Schneider mit Vivaldi auskennt, hier irrt auch er. Das Instrument, das Vivaldi im Sinn hatte, ist die Citole, eine mittelalterliche Schalenhalslaute, das bis ins 14. Jahrhundert verbreitet war. Zu Vivaldis Zeiten hatte man dies Instrument deshalb noch nicht vergessen, weil es in vielen bildlichen Darstellungen auftauchte. Möglich, dass die Citole ein Baustein auf dem Weg zur Cister – nicht aber zur Zither – war.

Und was ist sonst zu dem Buch zu sagen? Dass ich es mit Vergnügen gelesen habe. Unter dem Titel steht „Roman“. Dies erschließt sich nicht sofort, denn zunächst erläutert der Autor, wie ihm der Kameramann Michael Ballhaus zum Thema verholfen habe. Auch von den Recherchen muss zunächst – und im Laufe des Buches immer wieder – berichtet werden. Romanhafte Passagen, in denen Vivaldi und andere Personen handelnd auftreten, wechseln mit Passagen ab, in denen sich der Autor reflektierend in den Vordergrund drängt. Aber schon nach wenigen Kapiteln hat mich das nicht mehr gestört. Schneider stellt die Beziehungen zu Vivaldis „Aninna“ – jener jungen Sängerin Anna Giró, die in sein Leben trat und seine Primadonna wurde, als er bereits Ende Vierzig war – in den Mittelpunkt des Romans, ohne sich dabei auf allzu gewagte Spekulationen einzulassen. Die Szene, in der Vivaldi ihr an einem nebligen Abend am Canal Grande eine Art Liebesgeständnis macht, ist eine der anrührendsten Szenen des Romans, gerade weil sie so wenig spektakulär ist und vieles offen lässt. Die Szene beim Papst in Rom mit dessen Pantoffeln dagegen ist die lustigste Episode.

Es ist leicht, sich auf das Buch einzulesen, sei es nun ein Roman oder nicht oder irgendetwas dazwischen. Es wendet sich nicht an Musikwissenschaftler oder Musiker, sondern an Liebhaber ohne größeres Spezialwissen. Es ist lebendig erzählt und kurzweilig. Am Ende weiß man viel über Vivaldi und seine Musik und hat eine Ahnung davon, dass es mehr von ihm gibt als nur die „Vier Jahrzeiten“. Ich meine, es müsste mehr Bücher dieser Art geben, die sich nicht durch trockene Faktensammlungen auszeichnen, sondern dem „Publikum, das gerne Musik hört“, Komponisten und ihre Musik kurzweilig, aber durchaus kompetent näherbringen.

Insofern und trotz des Lapsus’ mit der Zither ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die die Musik des Barock lieben.

Ihr
Horst-Dieter Radke

Teilen: