Immer wieder Italien

Ruhe, Stille – wovon Kristin erzählt – ist so ziemlich das Letzte, was ich mir im Moment wünsche. Nach den letzten Monaten sehne ich mich nach Leben. Ich arbeite immer im Homeoffice, und abgesehen davon, dass es etwas anderes ist, ob ich zu Hause bleiben darf oder muss, habe ich die Zeit sehr gut überstanden. Aber jetzt habe ich Lust auf Leben, auf Menschen, Lachen, Quatschen, Optimismus. Gut dosiert, aber es darf auch gern laut sein.

Italien? Italien. Wenn ein Land für Lebenslust, lärmende, lachende Menschen steht, dann dieses. Auch und besonders jetzt.

Von München aus ist die Reise dorthin ein Katzensprung. Ziele wie Venedig oder Florenz sind problemlos mit dem Zug zu erreichen, und wenn die Bahn sich wirklich durchringen kann, die Corona-Regeln umzusetzen, könnte ich mir das sogar vorstellen. Bis dahin setzen wir auf das Auto und damit auf die Chance, auf der Heimfahrt den besten (natürlich geheimen) Supermarkt der Welt anzusteuern und jeden verfügbaren Quadratzentimeter im Wagen mit italienischen Köstlichkeiten zu füllen. Mit wunderbar aromatischen Pfirsichen, Aprikosen und Tomaten, die dort reifen durften, mit Chianti, Pasta und Parmesan lässt sich der Urlaub locker um ein paar Wochen verlängern – ausgeklügeltes Vorratsmanagement vorausgesetzt.

Ich habe Italien erst spät für mich entdeckt, und es hat mich nicht mehr losgelassen. Meine Eltern fuhren mit meiner Schwester und mir früher nie an die Adria, sondern in den Bayerischen Wald oder ins Allgäu. Und ich musste erst um die halbe Welt reisen, um das Naheliegende schätzen und lieben zu lernen. Einfach losfahren, spätestens am Südende des Gardasees die ersten Zypressen sehen und in ein anderes Lebensgefühl eintauchen – das öffnet jedes Mal mein Herz. Auch wenn vieles, was ich mag, einem Klischee sehr nahekommt, genieße ich mit allen Sinnen:

Duftende Pinien und Zypressenalleen, Weinberge und Weingüter, Olivenhaine, pittoreske alte Dörfer; Sandstrand – mit Sonnenschirmen und Liegestühlen gescheitelt und parzelliert oder frei für Sonnensegel, Bastmatten und sandige Handtücher, immer umgeben von italienischen Familien. Das Meer, das Rauschen der Wellen. Die Gässchen und Kanäle abseits der Touristenströme in Venedig, auf den Spuren von Hanns-Josef Ortheils Venedig: eine Verführung oder Donna Leons Commissario Brunetti. Die Oper in Verona, das mystische Pantheon, der Petersdom und die Piazza Navona in Rom, die Türme in San Gimignano, die Altstadt von Lucca, der Hafen in Genua, das quirlige Weinfest in Montecarlo.

Azzurro der Himmel, die Sommerabende warm und weich, wir sitzen lange draußen – theoretisch zumindest, da es in Italien immer und überall Mücken gibt, an die ich mich wohl nie gewöhnen werde.

Kulinarisches, hauptsächlich Pasta und frischer Fisch; Spaghetti alle Vongole, die für Einheimische vermutlich niemals eine ganze Mahlzeit wären, aber für uns zum Urlaub gehören, seit wir sie zum ersten Mal gegessen haben. Focaccia vom Blech auf die Hand. Eis in allen möglichen klassischen und modischen Geschmacksrichtungen, jeden Tag eins, ohne Reue und immer auf der Suche nach der besten Eisdiele. Caffè, wie es ihn nur in Italien gibt, für einen Euro im Stehen in der Kaffeebar, gern zusammen mit einer Brioche.

Die Menschen, laut, herzlich, leidenschaftlich wie ihre Sprache, meistens gut gelaunt und immer schön anzuschauen: junge Frauen, die auch in Birkenstock-Sandalen graziös aussehen und gehen; Männer, die Herzblätter ihrer Mamas, erzogen zur Krone der Schöpfung und laut meiner besseren Hälfte die einzigen, die goldene Schuhe tragen können. Menschen, die auf dem bitteren Höhepunkt der Krise über ihre Balkone hinweg zusammen singen, statt mit Plakaten gegen irgendetwas Dubioses, ihre individuelle Freiheit Einschränkendes zu demonstrieren. Menschen, die immer wieder Populisten wählen, einen davon sogar mehrmals, diese aber zum Glück auch immer wieder loswerden. Menschen, die anderen helfen und sich ihre Lust am Leben nicht nehmen lassen, die fallen und wieder aufstehen.

Nicht alles, was unter der Trikolore glänzt, ist Gold, und ich lebe in Zeiten von Corona gern in Deutschland. Aber ich liebe Italien und alles, was es für mich bedeutet – auch wenn es einem Klischee sehr nahekommt. Ob ich den Katzensprung über die Alpen dieses Jahr schaffe? Ich weiß es nicht. Aber sobald sich die Gelegenheit ergibt, werde ich Mann und Maus und Badeanzug einpacken und einfach losfahren. Es ist nicht weit dorthin, wo sich jedes Mal mein Herz öffnet.

Ihre
Ingrid Haag

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