Joans lebensveränderndes Buch: Irmgard Keun – Gilgi, eine von uns

Lebensveränderndes Buch? Was soll denn das sein? Ein Buch, nach dessen Lektüre ich alles hingeschmissen habe, um Tauchlehrerin auf den Bahamas zu werden? So ein Unsinn!

In meinem Leben gibt es, wie vermutlich im Leben eines jeden Viellesers, eine ganze Reihe von Büchern, die das Prädikat „wichtig für mich“ tragen. Barbara Vines Grasshopper – das erste Buch, dass ich von meinem Mann bekommen habe –, Paulo Coelhos Der Alchemist – das Lieblingsbuch meiner besten Freundin –; und dann gibt es die mit dem „wichtigen“ Inhalt: F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby, das Buch, das meine Liebe zu den Zwanzigern weckte, oder Blond von Joyce Carol Oates, das mich wie kein anderes mit seiner magischen Dichte in den Bann zog; einmal so schreiben können! Aber lebensverändernd?

Lebensverändernd waren sie alle nicht oder doch alle ein bisschen – denn hätte ich (beispielsweise) einen Mann geheiratet, bei dem das dilettantisch geklebte Geschenkpapier einen Fitzek offenbart hätte? Hätte ich am Ende über den Zweiten Weltkrieg promoviert, wenn ich Uwe Timms Am Beispiel meines Bruders statt des Gatsby geliebt hätte? Hätte, hätte, Fahrradkette – das sagt meine beste Freundin immer, die ich liebe, obwohl sie Coelho liebt.

Es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, denn es gibt tatsächlich ein lebensveränderndes Buch für mich: Irmgard Keuns Gilgi, eine von uns. Als Roman eher unbekannt und stets im Schatten von Keuns Hauptwerken, hat es mich doch geprägt wie kein anderes Buch – ich wäre nämlich gerne Gilgi. Wir haben viel gemeinsam, von besten Freundinnen mit schlechtem Buchgeschmack bis hin zur Liebe zu Niveacreme. Aber Gilgi ist doch anders als ich: mutiger, selbstsicherer. Wie sie sich ihren Weg in den frühen Dreißigerjahren erkämpft, das bewundere ich – aber nicht mit dem anbetungsvollen Staunen, das ich Scarlett O’Hara entgegenbringe.

Es ist eine Bewunderung im Sinne von „Das könnte ich auch, wenn ich müsste. Was ein Glück, dass ich es nicht muss!“. Gilgi ist, wie der Titel sagt, tatsächlich eine von uns.

Vielleicht also nicht lebensverändernd, doch immerhin lebensbeeinflussend.

Ich habe nach der Lektüre nicht beschlossen, Tippfräulein zu werden und einen Großwildjäger zu lieben, doch manchmal fragte ich mich in Krisensituationen: „Was würde Gilgi tun?“

Ihre Joan Weng

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