Johan Bojer: Die Lofotfischer

Kristaver Myran ist Lofotfischer. Im Winter fahren diese in den Norden bis zu den Lofoten, um die Kabeljauschwärme zu fischen, die dort durchziehen. Eine anstrengende und gefährliche Aufgabe. Kristaver ist bisher immer als Halbpartmann gefahren, also als einer, der nicht den vollen Anteil am Gewinn des Fangs bekommt. Bei einer Auktion ersteigert er ein eigenes Boot. Keiner will bieten, weil das Schiff in den letzten drei Wintern jedes Mal gekentert ist. Kristaver bietet niedrig – und bekommt den Zuschlag. Er muss sich Geld von der Bank leihen und Bürgen bringen, was ihm schwerfällt, letztendlich aber gelingt. Als es Zeit ist, fährt er mit seiner eigenen, neu zusammengestellten Mannschaft zusammen mit den anderen Booten los. Sein ältester Sohn Lars ist mit dabei und auch Arnt Aasan, der schon dreißig ist und eigentlich Zimmermann, den die Not dazu treibt, bei der Lofotfischerei mitzumachen. Arnt wird viel früher als die anderen an seine Grenzen kommen und ist zunächst mehr Last als Hilfe. Insgesamt sind sie zu sechst auf der „Robe“ gen Norden unterwegs, und nicht alle werden zurückkehren. Bis Kristaver sein Boot kennt und begreift, warum es kentert, vergeht fast der ganze Winter. Anfangs sind die Fänge gut, doch dann bleibt der Kabeljau plötzlich aus. Die Mannschaft muss weiter hinaus, die Fischschwärme suchen fahren. Als sie die Dorsche endlich finden, stehen die Dampfschiffe da mit ihren reichen Reedern, die den Lofotfischern den Zugang zum Kabeljau verwehren wollen. Es kommt zum Kampf, sogar zu kriegsähnlichen Zuständen. Aber nicht das ist es, was letztendlich zu einer Katastrophe führt, sondern ein Sturm, der die Fischer bei der Arbeit überrascht.

Was Fischer in Norwegen um 1900 für ein Leben geführt haben, hätte mich auf Anhieb nicht interessiert. Dass das Buch in meine Hände geraten ist, war Zufall, aber bereits das Anlesen hat mich so für es eingenommen, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Johan Bojer (1872–1859) war ein norwegischer Schriftsteller, der bevorzugt in einfacher, naturalistischer Sprache das Leben der Menschen seines Landes beschreibt. Diese einfache Sprache hat mich sofort gefangen genommen. Im ersten Kapitel beschreibt der Autor, wie Marja Myran, die Frau Kristavers, ein Feld mit der Hand mäht. Ihr jüngstes Kind hat sie am Feldrand abgelegt. Es schreit vor Hunger und Kälte, und Marja denkt, dass es schreien muss. Wenn sie aufhören und ihr Kind stillen würde, könnte sie nicht mehr weiterarbeiten. Erst als das Feld gemäht und die Garben gebunden sind, nimmt sie es auf und legt es an die Brust. Danach schafft sie es mit Mühe zurück ins Dorf und in ihr Haus, wo die anderen Kinder zu ihrem Recht kommen wollen. Bojer erzählt die ganze Geschichte in diesem distanzierten Stil, und man sollte meinen, dass man sich nicht richtig damit verbinden kann. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, und die auf ebensolche Weise erzählten Szenen von Schlägereien, Stürmen und dem Krieg mit den Dampfschiffen habe ich atemlos vor Spannung gelesen, obwohl der Autor auf effektreiche, spannungssteigernde Mittel verzichtet. Sämtliche Personen werden gleichwertig beschrieben. Ob das der Protagonist ist oder Ezra, der seine Frau schlägt, oder der hinkende Jakob, der ein Schlitzohr ist, oder die pelzbemäntelten Reeder der Dampfschiffer – Bojer beschreibt sie neutral. Er braucht keine adjektivbelasteten Personendarstellungen, die dem Leser ein Gut oder Böse (oder was auch immer) vordeuten. Alles ergibt sich aus der Handlung. Das Emotionale fehlt trotzdem im Roman nicht, es scheint durch, wenn die Personen denken, fühlen und miteinander reden.

Der Roman „Den siste viking“ erschien 1921 und wurde Bojers größter Erfolg. Eine erste deutsche Übersetzung erschien bereits 1924 unter dem Titel „Der letzte Wiking“. Die mir vorliegende Ausgabe stammt von der Deutschen Buch-Gemeinschaft und ist aus dem Jahr 1953. Es ist eine schöne Ausgabe in Halbleder, die ich aus dem Papiercontainer gefischt habe. Es ist leider vergriffen und nur noch über das Antiquariat erhältlich (oder über Abfalltonnen). Das ist schade, denn es gehört zu den zeitlosen Romanen, die man auch noch in hundert Jahren mit Gewinn lesen kann. Schauen Sie doch mal in die öffentlichen Bücherschränke, ob jemand diesen Roman dort abgestellt hat, und zögern Sie nicht, ihn mitzunehmen. Lesegenuss ist garantiert.

bis zum nächsten Tonnenfund

Ihr Horst-Dieter Radke

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