Sehr traurig! Nix Deutsch!

Seit Mitte Februar haben wir einen neuen DHL-Boten, er ist überaus freundlich und schleppt beispielweise klaglos Pakete mit Echtholztreppengittern durch den Regen. Er lächelt oft und nickt grüßend, wann immer er an mir vorbeifährt. Nur wenn ich ihn anspreche, weil ich zum Beispiel ein Paket vermisse, dann schüttelt er bedauernd den Kopf, schaut mich aus dunklen Augen an, murmelt verlegen: „Nix versteh! Nix Deutsch! Nix Englisch!“

Den Nachbarn erging es ganz ähnlich, deren Versuche, auf Kroatisch, Türkisch, Kurdisch, Polnisch, Spanisch, Französisch und Griechisch zu kommunizieren, scheiterten gleichfalls kläglich. Die Wirtschafterin einer Familie drei Häuser weiter bemühte ihre Syrisch-Kenntnisse, mein Vater kramte sein Schulrussisch hervor – alles vergebens.

Auf die direkte Frage, welcher sagenumwobenen, fremden Nationalität er denn angehöre, folgte stets dieselbe Antwort: „Nix versteh! Sehr traurig!“

Und wenn Corona nicht ausgebrochen wäre, hätten wir es nie herausgefunden. Doch gestern Abend klingelte es bei uns Sturm: Anna, die Studentin aus dem Tiefparterre. Sie habe Mundschutze bestellt, ob die bei uns abgegeben worden sein? Ich wusste von nichts, aber ich bat sie herein, machte ihr einen Kakao, und während die Milch warm wurde, klopfte es an der Gartentür: der mysteriöse DHL-Bote, halb zusammenbrechend unter der Last einer riesigen Sendung.

Anna hüpfte vor Glück, ihre Gesundheit war gerettet. Dann sah sie den Mann in Gelb verdutzt an, rief: „Ja, Andi! Was machst denn du? Ich dachte, du jobbst während der Semesterferien wieder im Callcenter?“ 

Und Andi, der senkte traurig den Kopf, schaute sie aus dunklen Augen an und sagte: „Nee, des war nix für mich. Ich red doch net so gern mit de Leut.“

Ihre

Joan Weng

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