Ich bin ein ehemaliger Kungfu-Jünger. Jünger trifft es deswegen, weil Kungfu keine Sportart ist, sondern eine Kampfkunst. Eine Kampfkunst, die man nach Ansicht älterer, herausragender Vertreter ein Leben lang ausüben muss. Nicht dreimal die Woche, sondern täglich. Stillstand ist Rückschritt hörte ich immer von meinem Lehrer. Für solche Ausdauer reicht eine normale Dosis Motivation einfach nicht. Man muss den unbedingten Wunsch nach Meisterschaft mitbringen. Dazu gehört auch Leidensfähigkeit, denn man beschreitet einen langen, gewundenen und holperigen Weg. Der Begriff Kungfu leitet sich vom chinesischen Wort Gongfu ab, was so viel wie harte Arbeit bedeutet. Wer dreimal in der Woche am Unterricht in einer Kungfu-Schule teilnimmt, hat mit dem Training noch nicht mal angefangen.
Wir haben jeden Tag trainiert. Zuerst in den Räumlichkeiten einer Tanzschule. Dann hieß es eines Tages von meinem Lehrer: „Das hier bringt dir nichts mehr, du brauchst Privattraining.“ Von diesem Zeitpunkt an trainierte ich mit fünf, sechs Kungfubrüdern auf einem großen Parkplatz vor der Wohnung meines Lehrers. Wir fanden, es gehört dazu, auch bei Regen oder leichtem Schneefall draußen zu trainieren. Sicher leisteten die von uns verehrten 80er-Jahre Kungfu-Filme auch ihren Beitrag zu unserer Trainingseinstellung. Wer keine blauen Flecken hat, der hat nicht trainiert und ähnliche Sprüche meinten wir völlig ernst, im Nachhinein muss ich darüber lachen.
Dieses Programm habe ich zehn Jahre durchgehalten. Zum Ende hin war ich gut. Ich habe einen nationalen Titel eines kleinen deutschen Verbandes geholt, habe innerhalb dieses Kreises einen Spitznamen erworben – als Experte für eine der traditionellen Waffen.
Vor dreizehn Jahren habe ich mit dem Training aufgehört. Irgendwie. Aber irgendwie auch nicht, denn bei so einer langen Zeit des stundenlangen täglichen Übens erarbeitet man sich ein Stoffbündel, ein imaginäres Reisegepäck, das man nie wieder ablegen kann. Viele Techniken und Prinzipien stehen mir heute noch zur Verfügung, auch wenn Genauigkeit, Geschwindigkeit und Kraft fehlen. Das Gefühl ist noch halbwegs da. Ich weiß, wieviel so ein Körper wirklich aushält und wie man ihn verletzen kann. Auch wenn ich mich nicht mehr darin übe – zum Angeben reicht es immer noch. 😉
Die wirklich wichtigen Dinge in dem Bündel sind nur für mich sichtbar und sie werden mich den Rest meines Lebens begleiten, da bin ich sicher. Ich weiß, wo meine Kraftreserven sind und wie ich sie aktiviere, weiß um den Wert von Ausdauer und Beständigkeit. Ich weiß, wo man Motivation findet, wenn grad keine da ist, wie man Durststrecken überwindet. Und ich weiß, dass harte Arbeit Spaß machen kann.
Die wichtigste Lektion aber ist folgende: Nicht das Ziel steht mehr im Mittelpunkt (das sowieso nur ein selbstgewähltes Trugbild ist), sondern das Beschreiten des Weges fasziniert und macht Freude. In dieser Welt gibt es für jeden von uns ungezählte Fertigkeiten, die man erlernen kann. Wenn man Spaß am Lernen hat, dann kann man so leben, dass diese Quelle nie versiegt.
Ihr Christoph Junghölter
Sehr schöner und persönlicher Beitrag, Christoph.
Ein toller Beitrag, lieber Christoph! Ich habe viel über deinen Sport und über dich gelernt. Und ich werde „Kung Fu Panda“ jetzt mit ganzen anderen Augen sehen das nächste Mal. 😉