Wie ich mit Tsitsi Dangarembga im Radio war

Zwei Tage nach der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Tsitsi Dangarembga hat das Literaturhaus Köln die Preisträgerin eingeladen, und weil ich gerade in der Nähe bin, lasse ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, „die weithin hörbare Stimme Afrikas der Gegenwartsliteratur“ (aus der Begründung für die Vergabe) live zu erleben.

Live können auch WDR-3-Hörer den Abend miterleben, wie Moderatorin Rebecca Link vor Beginn der Veranstaltung erklärt. Deshalb hören wir die letzte Minute der 20-Uhr-Nachrichten (DfB-Pokal und Wetter) und eine Überleitung und dann sind wir auf Sendung. Ich bin mit Tsitsi Dangarembga im Radio, zusammen mit etwa 150 mit Abstand im Parkett verteilten Zuschauern. Das fühlt sich nur einen Moment lang seltsam an, dann nimmt die Autorin mich so mit, dass ich das Radio vergesse. Der Abend ist eine Mischung aus Gespräch und Lesung in Englisch und Deutsch.

Rebecca Link führt das Gespräch mit Tsitsi Dangarembga und die Schauspielerin Azizè Flittner liest zwischendurch aus dem ersten und dritten Band (der zweite ist noch nicht auf Deutsch erschienen) ihrer Trilogie um Tambudzai, die in Simbabwe ihr Leben gestalten will. Doch es ist eine Gesellschaft, in der es bis heute zumeist den Männern vorbehalten ist, Leben zu gestalten – auch das der Frauen. Mit Tambudzai erlebt der Leser, wie Frauen sich ganz allmählich dieser Männerdomäne nähern und versuchen, eigene Lebensentwürfe zu träumen und zu gestalten. Und welche Schwierigkeiten das mit sich bringt.

Ob sie sich als weithin hörbare Stimme fühle, wird Tsitsi Dangarembga zuerst gefragt. Ihre Antwort setzt den Ton für den Abend. Sie antwortet fest und klar, und doch schwingt etwas Zurückhaltung mit in ihrer Art zu sprechen, als wolle sie sich nicht so wichtig nehmen. Nein, sagt sie und führt aus, dass Schreiben für sie vor allem bedeute, ihrer inneren Stimme zuzuhören, und sie dabei hofft, dass die dabei entstehende Geschichte später die Leser erreicht. So sind ihre Antworten oft an diesem Abend: Sie vermeiden Plakatives und erwartbare Antworten und geben einen Blick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Autorin, weisen auf Hintergründe und Zusammenhänge. Ob der Kolonialismus schuld sei daran, dass ihre Heldin Tambudzai in einer patriarchalen Welt lebt, in der Familien, die nur ein Kind zur Schule schicken können, selbstverständlich den Sohn dafür auswählen. Nein, sagt Tsitsi Dangarembga, daran sei der Kolonialismus nicht schuld. Wohl aber daran, den Menschen einzureden, sie hätten keine Wahl und müssten sich helfen lassen. Das wirke bis heute nach; obwohl die afrikanischen Länder inzwischen ihre Unabhängigkeit erlangt haben, werden sie auch mit Entwicklungshilfe daran gehindert, ihre eigenen Wege zu gehen. Wer Geld gibt, diktiert Bedingungen. Doch damit wird den Menschen ihre Kreativität genommen und der Glaube daran, selbst gestalten zu können.

Die Zuschauer und Zuhörer erfahren von Tambudzais Kampf um Schulbildung, die sie erst bekommt, nachdem ihr Bruder gestorben ist. „Musste Tambudzais Bruder sterben, damit sie Bildung bekommen kann?“, fragt die Moderatorin.

„Nein. Er musste sterben, damit die Geschichte dramatischer ist.“

Wir lachen. Es ist – bei aller Ernsthaftigkeit – ein leichter Abend, der mir das Herz öffnet. Tsitsi Dangarembga wirkt selbstsicher und demütig zugleich und sie spricht gelassen und ruhig. Dabei erwartet sie zu Hause in Simbabwe eine Anklage wegen «Aufrufens zur Gewalt», weil sie gegen die Korruption im Nach-Mugabe-Land demonstriert hat. Diese kluge Frau ist einen weiten Weg gegangen, um uns ihre Heimat näherzubringen, uns von einem Teil der Welt zu erzählen, der uns noch immer fremd ist. Denn Verständigung ist der erste Schritt für eine Veränderung, wie sie am Beispiel einer Szene aus ihrem Buch erläutert: Ein Lehrer nimmt Tambudzai mit in die Stadt, damit sie dort den Mais verkaufen kann, den sie selbst anbaut, um sich das Schulgeld zu verdienen. Eine weiße Frau sieht den Mann mit dem Mädchen auf dem Markt und beschimpft ihn, weil er das arme Mädchen ausbeutet. Als er ihr erklärt, warum er dort mit dem Mädchen ist, versteht die weiße Frau, dass manche Dinge nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Diese Szene geht gut aus für Tambudzai, denn die Weiße ist so bewegt von ihren Anstrengungen um Bildung, dass sie das Schulgeld für sie bezahlt.

Ob diese hart erkämpfte Bildung für Tambudzai das erfüllte Leben bringt, das sie sich vorstellt? Das kann der Leser aus „Aufbrechen“ und „Überleben“ erfahren. Es sei so viel verraten: Leicht wird es nicht. Auch für den Leser nicht, denke ich bei der Abschlussfrage der Moderatorin an die Autorin: „Mögen Sie Ihre Hauptfigur?“

„Lassen Sie mich so sagen, es geht mir nicht um die Frage nach Mögen. Aber ich habe großen Respekt für sie und den Weg, den sie gegangen ist. Und ich möchte die Frage gern an Sie zurückgeben: Mögen Sie sie?“

Rebecca Link scheint einen Moment lang überrascht von dieser Frage und antwortet dann nachdenklich: „Es war nicht immer leicht, ihr zu folgen, aber am Ende ergibt alles einen Sinn. Und doch, ja, schließlich mochte ich sie.“

Mit einem Lächeln spricht Tsitsi Dangarembga das Schlusswort des Abends: „Das ist es, was ich beim Schreiben gehofft habe.“

Die stehenden Ovationen können die Radiozuhörer nicht sehen. Und auch nicht, dass die beiden Bücher von Tsitsi Dangarembga ganz oben auf meine Leseliste kommen.

Ihre
Dorrit Bartel

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