Zeitgeschichte in der Lyrik (4): Der Weberaufstand 1844

Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mussten wir darben
und am Donnerstag litten wir Not;
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich –
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!

Georg Weerth (1844)

Wird von Weberaufständen gesprochen, so nimmt man in der Regel Bezug auf den Schlesischen Weberaufstand des Jahres 1844. Allerdings war dies nicht der einzige und auch nicht der erste. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte es Aufstände der Weber gegeben, da die Kaufleute zunehmend ostindische, billigere Waren orderten, was zu erheblichen Einkommensverlusten der traditionell und handwerklich arbeitenden Weber führte. Da Webergesellen nicht mehr sicher sein durften, künftig noch in ihrem Beruf arbeiten zu können, kam es 1784 in Augsburg zum Gesellenstreik, der, anfänglich friedlich, durch Polizeigewalt eskalierte. Ein Jahrzehnt später stürmten die Webermeister das Rathaus und setzten einen Einfuhrstopp für ausländische Waren durch, der aber wenige Monate später wieder gelockert wurde. Daraufhin nahmen sich die Aufständischen den Amtsbürgermeister zur Geisel, und noch ein paar Mal wurden Kompromisse geschlossen und missachtet, bis Ende 1794 das Militär den Aufstand endgültig niederschlug.

In Schlesien waren die Weber dem Preisverfall durch zunehmende Industrialisierung ausgesetzt, zudem waren sie hoch belastet, da sie den Gutsherrn Zinsen und andere Feudalabgaben entrichten mussten. Man versuchte durch Erhöhung der Quantität dem entgegenzuarbeiten, was aber wegen des erhöhten Angebots zu einem weiteren Preisverfall, zu Kinderarbeit und Verelendung führte. Eine erste kleine Demonstration von etwa zwanzig Webern aus Peterswaldau am 3. Juni 1844 vor einer Fabrik der Gebrüder Zwanziger, führte zur Verhaftung eines der protestierenden Weber. Die Aufständischen vertrieben die Diener des Fabrikanten mit Knüppeln. Am darauffolgenden Tag gab es erneut einen Protestzug, dem sich nun ein Großteil der Heimweber der Umgebung anschloss. Das Haus des Fabrikanten Zwanziger wurde gestürmt und die komplette Einrichtung zerstört. Zwanziger floh mit seiner Familie und seinen Angestellten nach Breslau. Weitere Fabrikanten wurden am nächsten Tag bedrängt. Die Behörden ließen deshalb das preußische Militär eingreifen, das den Aufstand am 6. Juni 1844 niederschlug.

Zwar nahmen die Richter die drückende Not der Aufständischen zur Kenntnis und berücksichtigten dies bei der Festlegung der Haftstrafen, aber im Grunde änderte sich nichts. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Heinrich Heine sein berühmtes Gedicht über den schlesischen Weberaufstand („Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, /

Wir weben hinein den dreifachen Fluch …“). Das Lied eines anonymen Verfassers „Hier im Ort ist ein Gericht“ – bekannt auch unter dem Titel „Das Blutgericht“ – wurde während des Aufstands in Schlesien gesungen:

Hier im Ort ist ein Gericht
viel schlimmer als die Vehme
wo man nicht erst ein Urteil spricht
das Leben schenn zu nehmen
Hier wird der Mensch langsam gequält
hier ist die Folterkammer
hier werden Seufzer viel gezählt
als Zeuge von dem Jammer

Hier Herren Zwanziger die Henker sind
die Diener ihre Schergen
davon ein jeder tapfer schindt
anstatt was zu verbergen
Ihr Schurken all, ihr Satansbrut
ihr höllischen Dämone
ihr freßt den Armen Hab und Gut
und Fluch wird Euch zum Lohne.

Weniger bekannt ist das eingangs zitierte Gedicht von Georg Weerth (1722–1856), einem Gefährten von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Appell an den König blieb zwar nicht ungehört, aber ohne Folgen. Friedrich Wilhelm IV. nahm öffentlich Anteil am Leid der Weber, tat aber nichts, um deren Not zu lindern. Ein halbes Jahrhundert später griff Karl May, der selbst aus einer Weberfamilie stammte, in seinem Kolportageroman „Der verlorene Sohn“ das Elend der Weber im Erzgebirge wieder auf, und zwar insbesondere in der unbearbeiteten Originalfassung in sehr drastischer und eindringlicher Weise. Populärer wurde das Drama „Die Weber“ von Gerhard Hauptmann, das 1894 in Berlin uraufgeführt wurde.

Horst-Dieter Radke

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