Zum Valentinstag ein Liebesbrief der besonderen Art

Jürgens Liebesbrief an Grimms kluge Bauerntochter

Liebste kluge Bauerntochter,

gleich raus damit: Als ich dich zum ersten Mal sah, nicht gekleidet, nicht nackend, nur eingewickelt ins Fischernetz und vom Schweif des Esels über die Geleise des Wegs gezogen, nicht geritten, nicht gefahren, sondern höchstens mit dem großen Zeh auf unsere schwache Welt gestützt: Da war’s um mich geschehen.

Noch heute ziehe ich gerne das Märchenbuch von 1937 aus dem Regal und betrachte mit dem ewig jungen Herzklopfen die Illustration, wo man dich und deine Klugheit durch das halbdurchsichtige Fischernetz bewundern kann. Wow.

Ich weiß aber nicht, was ich betörender an dir finde, dieses unauslöschliche Bild der Klugheit oder deinen Witz. Du hast das abgefahrene Rätsel des Königs gelöst und bekamst ihn obendrauf als Gatten geschenkt, einschließlich des ganzen königlichen Guts. Respekt, kann ich nur sagen, wie du den König an der Nase herumgeführt und damit das grundlegende Gesetz des Grimmschen Märchens der ausgleichenden Gerechtigkeit durchgesetzt hast: Arme, aber kluge Bauerntochter wird durch dummen König reich belohnt, Happy End.

Und wie geschickt du alles eingefädelt hast: Erst setzt du deinem Vater den Floh ins Ohr, dass er beim König um ein Stück Rasen betteln sollte, dann fandet ihr den Mörser aus purem Gold im Boden, den der Vater aus Dankbarkeit dem König verehren wollte, während du davor warntest, dass der König auch den fehlenden Stößel verlangen würde. So lief es haargenau ab. Der König ließ deinen Vater in den Kerker werfen, wo er, vorhersehbar, wie sein Verhalten ist, lauthals zu jammern begann und dem neugierigen König verriet, dass du, seine kluge Tochter, genau diese königliche Reaktion vorausberechnet hattest. Ja, die Männer sind so rechte Dummerjans, und du bist ihre Meisterin. Wow.

Den Mittelteil überspring ich mal, du hast es dir mit dem König verscherzt, der reichte die Scheidung ein und warf dich aus dem Schloss, der blöde Affe. Aber du, das war natürlich Teil deines herrlichen Plans, hattest noch einen letzten Wunsch frei und nahmst den Herrn König nach Verabreichung eines Schlaftrunks einfach mit, obwohl jeder andere hätte es mehr verdient als er. Finde ich.

An dieser Stelle, allerliebste kluge Bauerntochter, trete ich auf den Plan und schreib dir diesen Brief. Gewähre auch mir, deinem innigsten Verehrer, einen klitzekleinen Wunsch: Halte kurz inne und besinne dich, damit die Harmonie der Märchenwelt nicht in Gefahr gerät. Glaubst du allen Ernstes an den Zufall, dass man in einem geschenkten Acker einen Goldschatz findet, und sei es auch nur einen halben? Ich habe Zeit genug gehabt, gründlich darüber nachzudenken, und verrate dir nun das Geheimnis: Es muss der König selbst gewesen sein, der den Mörser ohne Stößel vergraben hat. Sein perfider Plan: sich an dir im Fischernetz zu ergötzen und dann ins Bett zu kriegen, dieser Chauvi! Ja, der König ist gerissen, lässt dich denken, du hättest alles im Griff, und jetzt stellt er dich auf die Probe, ob du ihm auch wirklich ganz und gar verfallen bist.

Übrigens, geht dir nicht auch die platte Symbolik von Mörser und Stößel total auf die Nüsse?

Herzallerliebste kluge Bauerntochter, noch kannst du klüger sein: Mach dich vom Acker und stell das Gleichgewicht wieder her, indem du mich erhörst. Es harrt deiner herzklopfend für immer

Dein Jürgen

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