Grabpflege

 

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Ich hatte mir vorgenommen, bei meinem nächsten Besuch in Würzburg, der nicht an irgendetwas gekoppelt ist, den alten Friedhof aufzusuchen um einigen Gräbern einen Besuch abzustatten. Als heute die Gattin bekundete, dass sie lange schon nicht mehr in Würzburg gewesen war und dies bei diesem schönen Wetter doch sicher eine gute Option sei, schloss ich mich an. Wir verabredeten, das jeder seiner Wege gehen solle und wir uns gegen halb eins beim Italiener unter dem Kran am Main wieder treffen wollten. Ich ließ sie auf der Brücke mit den Bischöfen stehen, wo sie zusah, wie ein großes und langes Ausflugsschiff in die Schleuse fuhr, machte mich auf den Weg zum Theater, bog vor der Residenz in die Kapuzinerstraße ab, dachte einige Minuten vor dem Haus, in dem Wagner sein Erstlingswerk „Die Feen“ geschrieben haben soll an den Meister und setzte dann den Weg fort, zuletzt durch einen kleinen Park, bis ich vor dem alten Friedhof in der Martin-Luther-Straße stand.

Einige Zeit vertrödelte ich mit der Suche nach dem Grab von Max Dauthendey, diesem Dichter und Reisenden, der uns so schöne Erzählungen und Novellen hinterlassen hat. Auch Romane und Dramen und Lyrik, aber die kenne ich kaum. Meine Empfehlung: die beiden Novellenbände „Lingam“ (1909) und „Die acht Gesichter am Biwasee“ (1911). Dauthendy wurde auf seiner Weltreise im Jahr 1914 auf Java von den Niederländern interniert und an der Weiterreise oder Rückreise gehindert. Dort erkrankte er an Malaria und starb Ende August 1918 im Alter von 51 Jahren. Seine sterblichen Reste wurden erst 1930 nach Würzburg überführt und im ehemaligen Lusamgärtchen in der Nähe des vermeintlichen Grabs von Walther von der Vogelweide bestattet. 1951 erfolgte im Zuge des Wiederaufbaus der Stadt die erneute Verlegung in das Familiengrab auf dem Würzburger Hauptfriedhof. Nachdem ich das Faltblatt der Friedhofsverwaltung gefunden hatte, fand ich auch das Grab unweit der Aussegnungshalle.

Nicht erwähnt im Faltblatt „unter den bekannten und verdienten Persönlichkeiten“ ist das Grab Georg Friedrich Daumers. Der Erzieher jenes Ansbacher Findlings, den einige „das Kind Europas“ nennen, andere den vertauschten Erbprinzen von Baden, war im Jahr 1956 von Nürnberg nach Frankfurt am Main gewechselt und nach seiner Konvertierung zum Katholizismus (1858) nach Würzburg (1860), wo er als Privatgelehrter bis zu seinem Schlaganfall (1874) arbeitete. Er starb am 13. Dezember 1875 und liegt, das zumindest hatte ich schon vorher in Erfahrung gebracht, ganz hinten in Abteilung 4 an der Mauer. Das ließ sich also finden, aber der Weg ist lang und derzeit bin ich gerade auf dem rechten Bein nicht gut zu Fuß unterwegs. Erfreulicherweise steht direkt dem Grab Daumers gegenüber eine Bank. Dorthin setzte ich mich und dachte ein wenig nach, auch über mein Romanprojekt, das von einer Schülerin Daumers handelt, die nach Wertheim verschlagen wurde. Die Hitze und die Erschöpfung vom langen Fußweg ließen mich ein wenig abrücken von der Wirklichkeit, sodass ich die Person, die eigenartig geduckt zum Grab Daumers getreten war, nicht sofort wahrnahm. Auch die Kleidung fiel mir erst im Nachhinein als eigenartig auf: die schwarzen alten Stiefel, kurz unter den Knien endenden Hosen, Weste im alten Stil und vor allem der Hut mit der breiten Krempe, den er vor dem Grab abnahm und in den Händen drehte. Dabei murmelte er leise alles Mögliche vor sich hin. Nur das Letzte konnte ich halbwegs verstehen. Es klang so wie: „Es wer besser g’wesen, I wer a söchtener Reuter g’worn, wie mein Voater gwen is“. Dann ging er und es dauerte etwas, bis ich aufsprang und mich umsah. Aber es war nur noch eine alte Frau zu sehen, die in der Nähe ein Grab goss. Der Blick auf die Uhr zeigte mir jedoch, dass es bereits 13 Uhr war. Verfl… Seit einer halben Stunde sollte ich beim Italiener sein. Telekommunikative Mitteilung des Umstands war nicht möglich, weil die Gattin mal wieder ihr ungeliebtes mobiles Telefon zu Hause gelassen hatte. Also hetzte – genauer: humpelte – ich zurück und kam gegen 13.30 Uhr am Main an, gerade als meine Frau das Lokal verlassen wollte. Nun ja – was soll ich sagen – das Wetter war schön, ich ausreichend schuldbewusst, sodass wir dann doch noch zum geplanten gemeinsamen Essen am Main kamen. Der Tag war gerettet … und irgendwie anders als manch anderer Sommersamstag.

 

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Ihr Horst-Dieter Radke

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Ein Gedanke zu „Grabpflege“

  1. Auf dem Friedhof über ein Romanprojekt nachdenken, das ist eine gute Idee. Gleich einen Schreibworkshop dranhängen, schon ist der Roman fertig.
    Vielleicht kommt demnächst ein Buch heraus, 66 Lieblingfriedhöfe, bei Horst-Dieter ist das alles möglich.
    Bad Mergentheim hat einige Friedhöfe, könnte ich mich mal hinsetzten, vielleicht kommt dann ein Roman dabei raus.
    Gruß Amos

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