Reisen und Lesen im Senegal Teil 3: Nachdenklich in Dakar

Sonntagvormittag besorgt Nar mir ein Taxi, ich will ins IFAN, das Museum für Afrikanische Kunst. Er handelt den Preis von 2000 CFA (ca. 3 €) aus und fragt den Fahrer zwei Mal, ob er wisse, wo das Museum sei. Der nickt, aber vorsichtshalber sagt Nar mir noch, es sei ganz in der Nähe des Parlaments, an dem wir am Tag zuvor vorbeigegangen sind. Er tut gut daran, denn zwei Mal hält der Taxifahrer am Straßenrand an, um einen Passanten nach dem Weg zu fragen, was nur bedingt weiterhilft, denn schließlich entdecke ich das Museum, als wir schon fast daran vorbeigefahren sind.

Im IFAN bin ich die einzige Besucherin und bewundere die Exponate aus verschiedenen Teilen Westafrikas und ganz besonders die farbigen Stoffe, die im Obergeschoss ausgestellt sind. Pagne wird mit Lendenschurz übersetzt, ist aber ein großes Tuch, das auch als Kleid getragen wird. Hier finden sich Pagnes in allen Farben und mit gewebten, aufgedruckten oder gestickten Szenen aus dem afrikanischen Leben. Für europäische Gewohnheiten ist das Museum klein und ich denke an die vielen Kunstwerke, die hier sein sollten, stattdessen aber in europäischen Museen ausgestellt sind und frage mich, ob die afrikanischen Länder dafür wohl angemessen entschädigt wurden.

Auf der Rückfahrt bin ich froh, dass ich am Monument wohne, denn das kennt hier wirklich jeder. Ich wende an, was ich inzwischen von Nar gelernt habe – als der Taxifahrer 5000 CFA verlangt, schüttle ich entrüstet den Kopf: „Ich kenne die Preise!“ Meine Verhandlungsposition untermauere ich, indem ich einen kleinen Schritt zurücktrete und mich nach einem anderen Taxi umsehe. Wir einigen uns auf 2500 CFA.

Eine andere Touristenattraktion lasse ich diesmal aus, die Sklaveninsel La Goree habe ich vor vier Jahren besucht. Von dort sollen in den vergangenen Jahrhunderten tausende Sklaven nach Amerika verschifft worden sein. Die Insel ist sehenswert, nicht nur wegen des Sklavenhauses, eines Museums, in dessen Gästebuch sich in den letzten Jahrzehnten prominente Besucher wie Nelson Mandela und Bill Clinton eingeschrieben haben. Es ist heute auch ein Erholungsort, ohne Autoverkehr, mit bunt gestrichenen Häusern und einem Kunstmarkt. Von einem Hügel hat man einen Blick auf Dakar. Ich hatte damals gerade „Roots“ von Alex Haley gelesen, eine Familiensaga, die in Gambia – also ganz in der Nähe – beginnt. Dort wird 1767 Kunta Kinte von Sklavenhändlern gefangen und nach Amerika verkauft. Auf 700 Seiten erzählt Haley die Geschichte von Kunta Kinte und seinen Nachfahren. Das Buch las sich nicht leicht, sprachlich war es manchmal sperrig und mich störte, dass der Autor Kunta Kinte fast 400 Seiten widmete, während die nachfolgenden Generationen auf nur 300 Seiten Raum bekamen. Und doch erinnere ich mich daran, dass mich bei der Lektüre die Ungeheuerlichkeit der Versklavung getroffen hat, die Vorstellung, eines Tages aus dem gewohnten Leben gerissen zu werden und fortan jederzeit verkauft werden zu können. Haleys Verdienst ist sicher, dass er als einer der ersten aus der afroamerikanischen Gemeinschaft die nachhaltigen Auswirkungen der Sklaverei dieses Thema aufgegriffen hat und die Sicht eines Betroffenen in eine breite Öffentlichkeit getragen hat, wo es auch durch die Verfilmung zu einem größeren Interesse an dem Thema geführt hat.

Moderner und ausgewogener greift Yaa Gyasi das Thema in ihrem 2017 erschienenen Roman „Heimkehren“ auf, der die Geschichte zweier Schwestern aus Ghana und ihrer Nachkommen erzählt. Eine von ihnen wird im 18. Jahrhundert nach Amerika verkauft, die andere bleibt zu Hause und profitiert vom Sklavenhandel, denn der hat ihren Mann reich gemacht. Bis ins 21. Jahrhundert verfolgt Gyasi die Familiengeschichte beider Schwestern und deckt auf, wie Vergangenheit bis in heutiges Leben hineinwirkt. Das alles erzählt sie wunderbar, lebendig und ohne Schuldzuweisung oder Verbitterung – und hat mit ihrem Buch dazu beigetragen, dass sich die Welt weiterhin mit dem Thema Sklaverei auseinandersetzt.

Gleichzeitig erinnere ich mich daran, dass ich auf La Gorée entdeckte, wie tief und versteckt in mir selbst ein Schuldbewusstsein über deutsche Vergangenheit steckt. Denn ich spürte auf La Gorée eine ungeahnte Erleichterung darüber, dass Deutschland am großen Sklavenhandel nicht beteiligt war. Fast fröhlich dachte ich angesichts des Kerkers im Sklavenhaus: Hier mögen die Franzosen, Engländer, Spanier und Portugiesen ihr schlechtes Gewissen haben. Nicht, dass ich mir Illusionen über den Grund der deutschen Zurückhaltung in Afrika mache – es war schlicht ein Mangel an Gelegenheit.

Darüber denke ich nach, während wir bei Gazelle von Dakar aus La Gorée in der hereinbrechenden Dunkelheit verschwinden sehen und darüber sprechen, dass ich als Touristin ohne ein Visum in dieses Land eingereist bin, was umgekehrt für die meisten Landsleute von Nar nicht möglich ist. Das sei ungerecht, sagt er, und er werde mir bei meiner Rückreise einen Brief für unseren Präsidenten mitgeben. Wir grinsen beide breit und ich erkläre ihm ernsthaft, dass er den Brief eher an unsere Kanzlerin schicken sollte und er nickt wissend: „Mdm Kermel.“ Ich vergewissere mich, ob er das Anagramm bewusst gesetzt hat, doch da ist kein Schalk in seinen Augen. Mein amüsiertes Lachen stirbt irgendwo zwischen Bauch und Gesicht, als ich mich frage, wie eigentlich der Präsident des Senegal heißt. Außer Senghor, dessen Amtszeit bereits 1980 endete, fällt mir nur Wade ein; doch der ist inzwischen auch ein Ex-Präsident.

Nar gegenüber mag ich meine Unwissenheit nicht eingestehen und lenke das Gespräch auf etwas Unverfängliches: Abendessen. Es wird Pizza beim Libanesen, die eine große Gruppe von Einwanderern im Senegal stellen und sich oft als Händler betätigen. Oder als Pizzabäcker, die mir eine der leckersten Pizzen meines Lebens servieren.

Auf dem Heimweg werden wir uns das erste Mal nicht mit dem Taxifahrer einig. Er ruft 5000 CFA auf und lässt nicht mit sich handeln. Also gehen wir ein Stück zu Fuß durch die afrikanische Nacht, irgendwo in Dakar, ehe uns ein anderer Taxifahrer einsammelt und für einen anständigen Preis nach Hause bringt.

Nachdenkliche Grüße
Ihre Dorrit Bartel

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