Tonne oder Ton-Gans

Testleser. Das sind diese Menschen, die Manuskripte, Blogbeiträge oder mal eine Kurzgeschichte lesen und dem Autor anschließend zurückmelden, was sie von dem Text halten. Das Ganze sollte stattfinden, bevor ein Text an die Öffentlichkeit gelangt. Ok. Manuskripte habe ich nicht und Blogbeiträge werden von der Redaktion gelesen. Aber für Kurzgeschichten hatte ich schon einmal Testleser. Für meine allererste sogar einen ganzen Schwung.
Meine ersten Testleser war ein gutes Dutzend Menschen aus meinem entfernteren Bekanntenkreis. Ich dachte, die sind objektiver als meine engen Freunde, von denen ich außerdem auch nicht so viele habe. Die Auswahl erfolgte nach dem einfachen Prinzip „Willste mal lesen?“ Alle wollten. Das Ergebnis war ein homogenes „Wow! Du kannst ja schreiben! Schonmal überlegt, damit Geld zu verdienen?“ Und ich dachte: „Aber sowas von!“ Einige hatten die eine oder andere Passage angestrichen, anderen gefiel ein Begriff oder ein Satz nicht, aber im Prinzip stand meiner Schriftstellerkarriere nun nichts mehr im Weg, im Gegenteil, sie drängte sich geradezu auf. Die Welt hatte lange genug auf mich gewartet. Ich war stolz. So für etwa zwei, drei Wochen. Denn jetzt war ich süchtig, ich brauchte noch mehr Lob. In der Zwischenzeit hatte ich mich im Forum der 42erAutoren angemeldet und für die dortige Besprechungsrunde freischalten lassen. Ein bisschen unsicher war ich beim Einschicken des Textes schon, aber ich hatte ein gutes Gefühl, das die Profis jetzt nur noch zu bestätigen brauchten. Das Ergebnis lässt sich so zusammenfassen: „Dieser Text ist eindeutig für die Tonne – tut uns nicht leid – aber möglicherweise kann ja noch etwas aus dir werden. Musst halt an dir arbeiten.“
Ich habe daraus gelernt, dass die Menschen, die mich kennen, mich irgendwie zu mögen scheinen. Und da sie mich mögen, sind sie voreingenommen und als Testleser ungeeignet.
Trotzdem habe ich das gut drei Jahre später nochmal versucht. Mit meiner Frau. Die Kurzgeschichte, die sie lesen sollte, hatte etwa 10.000 Zeichen, auf viereinhalb Seiten verteilt. Die ersten beiden hatte meine Frau gelesen, als sie mir die Geschichte mit dem Kommentar zurückgab: „Keine Ahnung, was du sagen willst“ und behauptete: „Ich kann das nicht weiterlesen. Die Leute haben so komische Namen. Und der eine erinnert mich an jemanden, den ich kenne – und den ich nicht mag. Sorry.“
Meine Frau gehört zu den intelligentesten Menschen, die ich kenne, sie hat viel gelesen und außerdem liebe ich sie. Ihr Urteil hat mich ziemlich verunsichert. Der Text war mein Beitrag für den Putlitzer Preis 2014. Eine kleine Kurzgeschichte, die ich für unglaublich witzig hielt. Sagen wollte ich damit überhaupt nichts und die Personennamen, naja, die habe ich dann nochmal geändert, aus Phantasieprodukten wurden gebräuchliche Vornamen. Alles Übrige habe ich so gelassen. Denn erstens gefiel mir der Text immer noch so wie er war, zweitens hatte ich keine Lust, einen neuen zu schreiben. Die Geschichte hat mir den dritten Platz beschert, inklusive Ton-Gans, sie war mein „Erstes Mal“, also das erste Mal, dass ich überhaupt etwas mit dem Schreiben gewonnen habe.
So ist das mit den Testlesern, jeder Jeck ist anders. Ein Leseeindruck ist ein Leseeindruck, ein Geschmacksurteil ist ein Geschmacksurteil. Der eine Leser bekommt Gänsehaut und will mehr, der andere üblen Ausschlag und will weg. Ich glaube, dass man sein eigener Testleser werden muss und kann, denn im Laufe der Zeit gewinnt man an Erfahrung und entwickelt ein Gefühl dafür, ob das Geschriebene etwas taugt oder für die Tonne ist oder irgendwas dazwischen. Von Tonne bis Ton-Gans ist alles möglich.

Ihr Christoph Junghölter

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4 Gedanken zu „Tonne oder Ton-Gans“

  1. Dankeschön:) Ob der Gewinn berechtigt war, tja, das sollen andere beurteilen, aber ich gehe zumindest davon aus, dass drei bis vier Leute ihn ganz gut fanden (und vielleicht sogar Spaß damit hatten).
    Die Wünsche gebe ich gerne zurück. 🙂

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