Was soll ich schreiben?

Was soll ich schreiben?

Diese Klage hört man beiläufig von vielen Autoren (oder solchen, die sich dafür halten). »Ich habe keine Idee!« Eine Klage, die so häufig wie falsch ist.

Man hat nie Ideen.

Man findet sie.

Sogar auf der Straße. Weder Grübeleien noch sonst irgendeine Gedankenakrobatik können so etwas wie eine Idee hervorrufen.

Wer nicht weiß, was er schreiben soll, soll das Schreiben lassen.

So einfach ist das. Es wollen sich aber viele nicht damit abfinden und entwickeln interessante Taktiken, um dieses Dilemma zu umgehen. Das reicht dann vom einfachen unzensierten Drauflosschreiben bis zum Abkupfern anderer Werke. Heraus kommt dabei selten etwas mehr als Ärger. Wer meint, sie oder er komme damit durch, irgendetwas Vorhandenes einfach zu »gercken« (gercken = kreatives Übernehmen fremder Textstellen und Einbauen als Platzhalter in die eigenen Werke), wird über kurz oder lang feststellen müssen, dass die Öffentlichkeit darauf empfindlich reagiert.

Was also tun, wenn man glaubt, keine Ideen zu haben, die zum Schreiben taugen und sich nicht damit anfreunden kann, nicht zu schreiben? Meines Erachtens ist die einzig richtige Strategie, sich damit auseinanderzusetzen, dass man Ideen finden muss und zwar außerhalb von sich selbst. Und wenn dann die Idee endlich da ist, dann „hat“ man sie noch lange nicht. Man muss aus dieser Idee etwas machen, am Besten, bevor jemand anderes etwas daraus macht, denn Ideen für Geschichten sind nicht schützbar. Sie können von jedem genommen werden, der sie findet. Erst das, was daraus gemacht wird, genießt den Schutz des Urheberrechts, aber auch nur dann, wenn es eine wirklich eigene Schöpfung ist.

Beispiel Las Vegas. Jemand wacht völlig verkatert in einem Hotelzimmer auf, hat einen Blackout für die letzten Stunden, vielleicht Tage, und stellt anschließend fest, dass er verheiratet ist. Tolle Idee? Ja, vielleicht – aber die hatten schon viele. Filme und Bücher mit dieser Idee sind ausreichend vorhanden. Wenn sich nun eine Autorin oder ein Autor trotzdem die Mühe macht, diese Idee zu einem neuen Roman zu gestalten, dann muss er etwas hinzufügen, was es so bislang noch nicht gab. Hoffentlich. Vielleicht dass einer der beiden Frischverheirateten schon verheiratet ist (Bigamie)? Oder er ist ein Priester, sie vielleicht ein Nonne – oder beides trifft zu. Oder es handelt sich um zwei, die einen Monat zuvor im heftigsten Streit geschieden wurden. Was auch immer – irgendetwas muss hinzukommen.

Wie bitte?

Wer hat da gesagt, es braucht eine Idee für die Idee? Bitte nicht unterbrechen. Lassen Sie mich erst ausreden. Danach können Sie darüber diskutieren.

Ideen liegen, wie schon geschrieben, überall herum. Man findet sie, indem man aufmerksam ist. Manches ist im Gespräch mit oder bei anderen zu hören. Die Zeitung (print und online) ist ein gutes Suchfeld. Bilder eignen sich ganz hervorragend, sind viel besser als Geschriebenes und Gehörtes, schon deshalb, weil da kein Satz als Platzhalter herausgelöst werden kann. Welche Bilder es sind, ist ganz egal, ob alte Gemälde und Drucke oder neue Fotos, die über die verschiedenen Medien in die Öffentlichkeit gelangen – alles funktioniert. Wenn gewollt. Dabei ist es unwichtig, ob man die direkte Bedeutung dessen, was auf den Bildern darzustellen versucht wurde, nimmt, oder das, was diese Bilder in einem selbst auslösen.

Letzteres ist sogar viel besser. Man braucht also genau genommen keine Idee sondern einen Auslöser, der bei kreativem Umgang zu einem Stoff führt, den man schriftstellerisch zu einem eigenen Werk ausgestalten kann.

Dies alles ist genreunabhängig. Ob Krimi, Fantasy, SF, historischer Roman, Horror, Gesellschaftsroman oder hohe Literatur – ohne zu wissen, was man eigentlich schreiben will, wird das weiße Blatt oder das leere Dokument nicht voll. Wer das ändern will, sollte sich auf die „Suche“ machen und dem Glauben, dass man Ideen »haben« muss, abschwören.

Ihr Horst-Dieter Radke

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