Ernst Haffner und Ossip Schubin – Zu Unrecht vergessen

Wer schreibt, der bleibt – heißt ein gern geäußertes Sprichwort. Genau genommen müsste man es ergänzen um den Zusatz: noch lange nicht. Das trifft nicht einmal nur die wenig bekannten Schriftsteller, sondern durchaus auch solche, die zu Lebzeiten bekannt, manchmal sogar berühmt waren. Heute weiß man beispielsweise mehr über Menes, den ersten Pharao Ägyptens, der um 3000 v. Chr. lebte, als über Ernst Haffner, der 1932 den Roman »Jugend auf der Landstraße« vorlegte. Das Buch landete schon wenig später in der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten und Neues erschien von diesem Autor nicht mehr. Dieses Buch wurde vor zwei Jahren wieder entdeckt und erschien unter dem Titel »Blutsbrüder – Ein Berliner Cliquenroman«. Er bekam so endlich die verdiente Anerkennung, weil es ein beachtliches Zeitgemälde ist. Aber über den Autor ist fast nichts mehr zu erfahren. Man weiß, dass er um 1900 geboren wurde, zwischen 1925 und 1933 als Sozialarbeiter und Journalist gearbeitet hat, 1938 zur Reichsschrifttumkammer zitiert wurde – danach verliert sich jede Spur.

Ernst Haffner mag ein »kleines Licht« in der großen Gruppe der Schriftsteller gewesen sein, ausgeblasen in einer schlimmen Zeit, bevor es richtig zum Leuchten kam.

Anders ist es aber mit Aloisia (Lola) Kirschner, die unter dem Pseudonym Ossip Schubin zu Lebzeiten eine bekannte deutschsprachige böhmische Schriftstellerin war. Sie wurde am 17. Juni 1854 in Lochkov bei Prag geboren, wuchs auf dem abgeschiedenen Gut ihrer Eltern in Lochkov auf und reiste nach dem frühen Tod des Vaters mit Mutter und Schwester Marie, die eine bedeutende Glaskünstlerin des Jugendstil wurde, durch ganz Europa. Mit George Sand, Alfred Meissner und Iwan Sergejewitsch Turgenew war sie bekannt. Von Letzterem entlieh sie sich aus einem seiner Romane das Pseudonym Ossip Schubin. Sie veröffentlichte ihre Novellen und Romane u.a. in der Prager Zeitschrift Bohemia, im Schrorer Familienblatt, der Deutschen Rundschau und in Engelhorns allgemeine Roman-Bibliothek. Obwohl ihre Themen bevorzugt aus dem Salon- und Gesellschaftsleben ihrer Zeit stammen, warb sie in ihren Werken für das friedliche Zusammenleben der Völker Europas. In Sanders Literaturgeschichte aus dem Jahr 1906 steht sie zwischen Marie von Ebner-Eschenbach und Ilse Levin (Frapan):

Lola Kirschner (Pseudonym Ossip Schubin), geb. 1854 in Prag. Sie hatte Gelegenheit, in ihrer Jugend auf Reisen die Welt kennen zu lernen, und errang schon mit sechzehn Jahren Erfolg als Schriftstellerin. Ihr Aufenthalt ist gewöhnlich Brüssel oder Prag oder das Gut ihrer Eltern. Sie folgt in ihren Schriften dem Beispiel von Sacher-Masoch, so daß sich eine nähere Charakteristik erübrigt. Wir nennen von ihren Romanen Ehen (1884), Boris Lensky (1889), Im gewohnten Geleis (1901).

Der Roman »Ehen« ist vermutlich ein Druckfehler. Gemeint sein dürfte der Roman »Ehre«, der im Jahr 1883 erschien und sie mit einem Schlag bekannt machte.

Die Romane und Novellen von Kirschner/Schubin spielen alle in der Adelswelt und europäischen Luxuszentren. Die Handlungen spiegeln Konfliktfälle, weichen aber realen politischen und sozialen Gegensätzen aus, anders als das etwa Ebner-Eschenbach machte. Auch deshalb fand wohl ihr Werk nach dem Ende des dritten Reichs, in dem sie als jüdische Schriftstellerin verpönt war, keine Wiederauferstehung. Im Vergleich zu Courths-Mahler gewinnt ihr Werk aber immer noch. Während jene ständig Klischees bemüht um den Aufstieg sozial Benachteiligter in eine bessere Gesellschaft in unzähligen Varianten zu zeigen, kann man sich bei Schubin an subtilen Beschreibungen der Dekadenz des verblassenden Adels erfreuen. Den letzten Schritt, den endgültigen Verfall dieser Gesellschaft zu zeigen, ist sie allerdings nicht gegangen.

Ossip Schubins Werke sind heute nur noch antiquarisch erhältlich – und als E-Book. Es gibt einige kostenlos über den kindle shop, deren Quelle vermutlich die Textgrundlage des Projekts Gutenberg ist.

Das dürfte auch für die zahlreichen kostenpflichtigen Angebote von Schubins Werken (als E-Book) so sein, weshalb von diesen grundsätzlich abzuraten ist. Auf all diese »Verwerter« klassischer Texte kann man jene sieben letzten Worte anwenden, die Jesus am Kreuz gesagt haben soll: Denn sie wissen nicht, was sie tun! (Lukas 23, 34).

Eine umfangreiche Werkliste und einige Texte von Ossip Schubin findet man auch in der Wikisource.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen

Horst-Dieter Radke

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