„Autoren sind manchmal Traumtänzer, manchmal Besitzer verborgener Schätze“

Interview mit Christine Hochberger, Lektorin.
Es fragt: Claudia Kociucki 

Christine Hochberger

Heute stellen wir Ihnen und euch einen weiteren ‚Büchermenschen‘ vor: die Lektorin Christine Hochberger aus dem Raum Augsburg, die seit 2010 im Münsterland lebt. Liebe Christine, vielen Dank, dass du uns ein wenig von dir und deiner Arbeit erzählst! Damit wir ganz viel erfahren, geht es kurz und knapp los:

 

1. „Jung, dynamisch, erfolgreich.“

Wie würdest du eine Stellenausschreibung für eine Lektoratstätigkeit formulieren?

Es sollte eher heißen: „Sie müssen das Schreibhandwerk beherrschen, Freude an der Literatur besitzen, neugierig sein, ein Gespür für Sprache mitbringen, Respekt vor dem Autor und seinem Werk haben und ehrlich sein.“

 

 2. „Gegenrede“

„Korrigieren ist doch das Gleiche wie Lektorieren!“

Lektorat und Korrektorat erfordern zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen an einen Text: Das Lektorat ist schwerpunktmäßig auf Handlungsverlauf (Plot), Logik, Charaktere, Schauplätze, Dialoge, Spannung, Cliffhanger, Erzählperspektiven, Sinnwiederholungen, Wortwiederholungen, Füllwörter, Adjektive, Grammatik, Zeilenumbrüche, Absätze und – soweit möglich – auf Rechtschreibung, Tippfehler, überzählige/fehlende Leerzeichen etc. ausgerichtet. Da sich während der Überarbeitung erneut Fehler einschleichen und im Lektorat oft nicht alle Fehler erfasst werden können, rate ich im Selfpublishing zu einem separaten Korrektorat. Das Korrektorat umfasst schwerpunktmäßig Rechtschreibung, Grammatik, Interpunktion, Tippfehler, Leerzeichen, Zeilenumbrüche, Absätze.

 „Die Autokorrektur bei WORD reicht mir.“

Ein Autor sollte, wie ein Schreiner Möbel zimmern kann, das Handwerk des Schreibens  beherrschen. Dazu gehören elementar Rechtschreibung und Grammatik. Manchmal stellt es mir die Haare auf, wenn ich zum Beispiel auf Facebook Beiträge von Autoren lese, die in fünf Zeilen vier Rechtschreibfehler präsentieren. Doch um auf die Autokorrektur zurückzukommen: Kein Rechtschreibprogramm kann alle Fehler erfassen. Umso wichtiger ist ein professionelles Korrektorat, falls der Autor in Rechtschreibung und Grammatik nicht sattelfest ist.

„Ich lasse meine Freundin mal drübergucken, das reicht.“

Das reicht nicht. Die beste Freundin wird immer begeistert sein. Ihre Bewunderung ist sicher berechtigt, aber ihr fehlt natürlich der fachmännische Blick.

„Wir lektorieren kollegial in einem Autorennetzwerk, reicht das nicht?“

Nein! Autoren können nicht lektorieren und sie sollten es auch nicht tun. Sorry, das mag vielleicht für den einen oder anderen überheblich klingen, aber kein Autor ist objektiv. Er steckt viel zu tief in seinem persönlichen Stil und meint, oft unbewusst, dies auf das Projekt des Kollegen projizieren zu müssen, da es nur so gut ist. Sicher, ein Autor kann ein guter Testleser sein und den einen oder anderen Fehler oder Schwachpunkt ausmerzen, aber er kann kein Lektorat ersetzen. Wer beispielsweise in seinem eigenen Manuskript einen Perspektivwechsel nicht erkennt, nicht einmal weiß, was ein Perspektivwechsel bedeutet, wie soll er es dann im Manuskript seines Kollegen erkennen?

 

3. „Gesucht – gefunden“

Wie bist du zum Beruf ‚Lektorin‘ gekommen?

Nach meinem dreijährigen Fernstudium des kreativen Schreibens spürte ich, dass es mich immer mehr zur Arbeit am Text zog und das Schreiben nach und nach in den Hintergrund rückte. Ich lektorierte zunächst Kurzgeschichten für verschiedene Anthologien und wagte mich bald an die ersten Romane. Es folgten die Verlagslektorate und seit dem verstärkten Trend zum Selfpublishing auch viele Lektorate für Indie-Autoren und Selfpublisher. 

Was gefällt dir an deinem Beruf besonders gut?

In manchen Ideen oder Werken liegen wahre Schätze verborgen, aber oft fehlt den Autoren das Handwerk oder der richtige Blickwinkel. Es ist für mich immer wieder faszinierend, die Seele eines Romans zu entdecken und den Autor dabei zu unterstützen, aus diesem Rohdiamanten einen funkelnden Brillanten werden zu lassen. Es bereitet mir Freude, mich mit den Autoren auszutauschen, mein Wissen weiterzugeben, gute Gespräche zu führen und sich gegenseitig zu bereichern.

 Was macht deinen Beruf so wichtig?

Die Konkurrenz unter den Veröffentlichungen ist sehr groß. Bei über 90.000 Neuerscheinungen im Jahr kämpft jeder Autor mit seinem Buch um die Wahrnehmung des Lesers. Jeder Autor kann durch ein Lektorat nur gewinnen, da er sehr viel über das schriftstellerische Handwerk (dazu-) lernen kann. Einige Autoren, die ich betreute, fanden sogar einen Verlag.  Eine von ihnen ist inzwischen eine renommierte Top-Thriller-Autorin. Für mich ist es unverantwortlich, wenn Autoren, die noch nie etwas von Schreibhandwerk gehört haben, ihre mit Fehlern behafteten Werke der Leserschaft präsentieren. Niemand schreibt auf Anhieb das perfekte Buch, aber jeder kann Wert darauf legen, mit einem bestmöglichen Roman (Sachbuch, Kinderbuch …) an die Öffentlichkeit zu gehen. Selbst wenn ein E-Book zum Beispiel nur 99 Cent kostet, erwartet der Leser ein weitgehend fehlerfreies Werk. Das funktioniert nur mit einem professionellen Lektorat.

 Was macht eine gute Autor-Lektor-Beziehung aus?

Eine gute Autor-Lektor-Beziehung setzt eine vertrauensvolle Basis voraus. Ich achte das Werk und die Idee eines Autors genauso wie seinen Schreibstil, greife aber jede Schwachstelle auf. Wichtig ist, dass sich der Autor während unserer Zusammenarbeit stets mit seinem Werk identifizieren kann.

 

4. „Auf die Finger geschaut“

 Für wen arbeitest du?

Ich arbeite für verschiedene Verlage, darunter Kleinverlage wie Bookshouse, Sieben-Verlag und Eaglebook, aber auch für Autoren im Selfpublishing. Im belletristischen Bereich bediene ich so gut wie alle Genres, dazu Sachbuch, Ratgeber sowie Kinder- und Jugendbuch.

 Welche unterschiedlichen Angebote gibt es und wann empfiehlt sich was?

Ich biete Manuskriptprüfung, Coaching, Lektorat, das Erstellen von Exposés und Klappentexten. „Fertige“ Manuskript prüfe ich aufgrund des Handlungsverlaufes, einer Beschreibung der Hauptfiguren und der Textprobe auf Veröffentlichungstauglichkeit. Oft fehlt Autoren die Struktur zu ihrer guten Idee. In diesem Fall ist ein Coaching der richtige Weg. Bewährt hat sich eine Mischung aus Lektorat und Coaching. In diesem Fall lektoriere ich den Text und vermittle in meinen ausführlichen Kommentaren, warum der Autor das eine oder andere ändern sollte und wie das am besten möglich ist. Für die meisten Autoren erweist sich das Exposé als sehr schwierig. Auch hier greife ich unterstützend ein oder verfasse es eigenständig. Die Erstellung des Klappentextes gehört zu meinem Lektoratsangebot und ist für meine Autoren kostenlos.

 Wie lange brauchst du für das Lektorat eines Romans?

Der zeitliche Aufwand hängt entscheidend von der Qualität des Manuskriptes ab und natürlich von der Formulierung des Auftrages. Ich arbeite kapitelweise an mehreren Projekten gleichzeitig, damit der Blick für jedes einzelne geschärft bleibt. Außerdem kann der Autor nach Lektoratsfortschritt überarbeiten, wodurch Lektorat und Überarbeitung ineinandergreifen und beide Parteien im selben Zeitraum eng mit dem Werk verbunden sind.

 Ab wann bzw. in welchem Fall würdest du sagen „Sorry, da ist nichts mehr zu machen, da bin ich mit meiner Kunst am Ende?“

Ich hatte bisher nur ein Lektorat, bei dem ich fast das Handtuch geworfen hätte, da der Autor bei all meinen Änderungsvorschlägen Gegenbeispiele aus Klassikern gebracht hat, zum Beispiel neben dem immer wieder eingreifenden auktorialen Erzähler verkrampfte Dialoge und Perspektivwechsel am laufenden Band. Wir fanden schließlich eine gemeinsame Basis. Heute sind der Autor und ich die besten Freunde, sein Buch erscheint in Kürze. Sehr, sehr schwierig wird es, wenn der Autor der deutschen Sprache nur sehr begrenzt mächtig ist. In diesen Fällen lehne ich das Lektorat ab, da die Missverständnisse zu groß werden können.

 Gibt es einen „Lieblingsfehler“ oder etwas besonders Nerviges, das man als Autor/in falsch machen kann?

Ich habe festgestellt, dass so gut wie jeder Autor ein Lieblingswort hat oder die immer selbe Redewendung einsetzt. Oft meinen Autoren auch, sie müssten alles bis ins kleinste Detail erläutern und dies noch zweimal erklären. Sehr schnell nerven unnötige Sprecherverben. Durch den Zeilenwechsel ist bei Dialogen klar, wer spricht, da braucht es nicht noch ein …“, sagte, rief, erwiderte … Bei Dialogen, die mit Doppelpunkt eingeführt werden, läuft es mir kalt über den Rücken. Nicht nur, dass dies an Aufsätze aus der Schulzeit erinnert, es ist obendrein falsch, wenn der Autor den personalen Erzähler für seine Erzählperspektive gewählt hat. Die Rede muss erst erfolgen, bevor erwähnt werden kann, wer gesprochen hat. Aber wie bereits angeführt, kann auch dieser Hinweis bei einem Gespräch zwischen zwei Personen stark vernachlässigt werden.

 

5. „Was kann der denn so?“

Ein guter Autor kann auf den Punkt gebrachte, spannende Geschichten erzählen.

Ein guter Lektor kann die Seele des Romans erkennen, mit dem Autor die Stärken des Romans hervorholen und Lehrreiches aus der Welt des Schreibens vermitteln.

Ein guter Testleser kann konstruktive Kritik formulieren.

Ein guter Autorenkollege kann objektiv beurteilen.

Ein guter Verlag kann den Mut besitzen, sich auf Ungewöhnliches einzulassen. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Bücher, die den Buchmarkt revolutioniert haben.

Ein gutes Buch kann den Leser aus dem Alltag in aufregende Welten entführen.

 

6. „Die berühmten drei Dinge auf der berühmten einsamen Insel“

Ein Autor braucht Berge von Papier, Stifte, Fantasie und natürlich gute Bücher.

Ein Lektor braucht gute Manuskripte, den Duden, Stifte und gute Bücher.

Ein Buch braucht einen trockenen Platz, begeisterte Leser und einen Schutzumschlag.

Die Buchbranche braucht Mut, Kreativität, die Bereitschaft, Neues auszuprobieren und ein Boot, um die Bücher ans Festland zu bringen.

Der Leser braucht einen bequemen Platz unter Palmen, Licht und einen coolen Drink.

 

7. „Thesen dreschen“

„Ein Trainer muss nicht selbst gut Fußball spielen können.“ Ein Lektor sollte nicht Autor sein.

„Der liebe Gott hat die Adjektive erfunden, dann darf ich die auch benutzen.“ Klar, wenn’s schwülstig werden soll – der Leser wird es ihm nicht danken.

„Guter Rat ist teuer.“ Ein Rat ist kostenlos. Ein Lektorat, sprich, gute Qualität zahlt sich immer aus.

„Selfpublisher können nicht schreiben.“ Es gibt unter Selfpublishern Diamanten, ihnen fehlt jedoch der letzte Schliff. Dem gegenüber stehen die ungeduldigen Autoren, die ihre handwerklich schwachen und vor Fehlern strotzenden Romane auf Teufel komm raus veröffentlichen und meinen, sie könnten schreiben. Was leider sehr oft nicht der Fall ist. Deshalb sollte jeder, der selbst veröffentlicht, bestrebt sein, sich von der negativen Masse abzuheben. Letztlich bringt ihn nur gute Qualität weiter.

 

8. „Hätte, hätte, Fahrradkette“

Wenn ich nicht Lektorin geworden wäre, dann wäre ich Thriller-Autorin und Philosophin geworden.

 

Vielen lieben Dank, liebe Christine Hochberger, für das Interview (und viele weitere spannende Aufträge und Bucherfahrungen)!

Auch ich bedanke mich herzlich für das Gespräch, liebe Claudia Kociucki und hoffe, dass ich einen informativen Einblick ins Lektorat bieten konnte.

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