Doping fürs Ego

Testleser lesen Texte. Testleser testen, indem sie lesen, einen Text, wie er sich liest, ob das, was ich erzählen wollte, auch so ankommt, ob er also funktioniert, der Text. Allein deshalb müssten sie Texttester heißen, wie Restauranttester (Testesser?) oder Softwaretester (Testsachbearbeiter?). Denn lesen können sie ja alle, die Testleser, dass müssen sie nicht erst ausprobieren.

Ohne dass meine Texttesterin einen Text sprichwörtlich auf Herz und Nieren getestet hat, geht keiner davon raus: nicht in die Lesung, nicht in den Wettbewerb, nicht an die Agentur.

Aber was bringt es mir, wenn meine Texttesterin ihr Testurteil abgibt?

Allem voran bringt es mir Sicherheit, Bestätigung, einen Raketenantrieb für meinen Mut und motiviert mich. Oft erbitte ich nicht mehr als eine erste Einschätzung, ob ich in Ton, Erzählhaltung, Tempo etc. auf einer Spur bin, die irgendwohin führt. Ja, der Text funktioniert, heißt es dann. Ja, mach weiter so. Ja, los, ich drücke dir die Daumen. Dieses und jenes wäre noch zu ändern ­­– ein Ausdruck, ein nicht vollkommen geglücktes Bild, eine klitzekleine Umstellung in der Reihenfolge der Handlung. Aber sonst: Prima! Du kannst das!

Solche Rückmeldungen brauche ich, für Kurzgeschichten oder wenn ich am Anfang eines Romanprojekts stehe. Dann fasse ich den nötigen Mut, die Kurzgeschichte in den Wettbewerb zu schicken oder mich auf die lange Reise bis zum Ende des Romans zu begeben.

Nutznießer ist mein Schreiberego. Das fühlt sich geschmeichelt, beflügelt, wir haben den Test bestanden, der Text und ich.

Aber nutzt es auch dem Text, den Test so glatt zu bestehen?

Manchmal glaube ich, ich müsste mich nach anderen Texttestern umschauen. Nach solchen, die noch nie etwas von mir gelesen haben. Das Beispiel eines Sprungs ins Haifischbecken BT (wöchentliche Textbesprechungsrunde im 42er-Forum) hat Christoph Junghölter in einem früheren Beitrag eindrucksvoll beschrieben. Ich glaube dann, ich bräuchte Texttester, die mich noch nicht kennen – oder besser: die noch nie Umgang mit mir hatte, denn meine jetzige Texttesterin kennt mich auch nicht, jedenfalls nicht persönlich. Ich weiß nicht mal, wie ihre Stimme klingt.

Sie testet meine Texte ehrlich. Das weiß ich. Wie auch ich ihre Texte ehrlich teste. Das Problem an der Sache ist, dass wir einander inzwischen wohl zu wohlgesinnt sind. Wir schmieren uns keinen Honig um den Bart. Das nun wirklich nicht. Wir bemängeln ehrlich, was nicht funktioniert.

Aber es tut nicht so weh, wie es weh tut, wenn ein Fremder mit vollkommen unverstelltem Blick meinen Text testete und sicher ganz andere Mängel aufdecken würde als meine Texttesterin. Es ist wie mit dem Restauranttester, der sich in die Köchin verliebt hat und dem fortan alles schmeckt, was sie ihm vorsetzt, und der allenfalls etwas an der Dekoration zu mäkeln hat. Ein mir unbekannter Texttester würde den Finger ohne Skrupel in die Wunde legen, egal, wie stark sie danach blutet. Es würde schmerzen und ich müsste etwas tun, um den Schmerz abzustellen. Ich bekäme vielleicht einen deutlicheren Tritt in den Hintern, einen stärkeren Antrieb zu wachsen, wenn der wunde Punkt nur genau genug getroffen ist.

Will ich das? Will ich, dass es wieder weh tut? Wie damals, als ich gerade mit dem Schreiben angefangen hatte? Besonders zu Beginn eines längeren Projekts will ich genau das nicht. Dann brauche ich die Zustimmung, die mir meine Texttesterin geben kann, die Sicherheit, das Zweifelvertreiben.

Ich mag und schätze meine Texttesterin sehr. Wir haben inzwischen eine Vertrautheit im Umgang miteinander erreicht, in der wir eine von der anderen wissen, was sie braucht, was sie in dieser speziellen Phase ihres Schreibens nötig hat, um vorwärtszukommen. Um eben nicht völlig verunsichert den Stift beiseitezulegen oder den Laptop zuzuklappen. Um weiterzuschreiben und das Wagnis einzugehen, sich kopfüber in das Abenteuer eines werdenden Romans zu stürzen.

Keine nimmt es der anderen übel, wenn ein Text einmal für misslungen befunden wird. Im Gegenteil. Erkennen wir frühzeitig, dass ein Text so nichts wird, am besten schon beim Lesen der ersten Szenen, können wir die Reißleine ziehen und den Roman vor dem Absturz retten. Schließlich sind wir beide erst auf dem Weg zur Meisterschaft.

Und was das Wachsen angeht: Fürs Wunde-Punkte-Finden kann ich im 42er-Forum jederzeit blindfliegen.

Ihre und eure
Andrea Gunkler

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