Karen Duve ist für mich eine der größten Gegenwartsautorinnen – das gleich vorweg und mit dieser Erwartungshaltung bin ich an „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ gegangen. Eine der größten unserer Zeit schreibt über Annette von Droste-Hülshof, eine der größten des 19. Jahrhunderts. Die Messlatte lag also durchaus hoch.
Und ich kann vorweg voll Zufriedenheit sagen: Meine Erwartungen wurden sogar übertroffen. Karen Duve gelingt es amüsant, kenntnisreich und detailverliebt eine Autorin zum Leben zu erwecken, die für meine Generation wohl vor allem das grüne Gesicht auf dem Zwanzigmarkschein ist. Die historisch vorgegebene Geschichte ist im Grunde denkbar einfach, das junge Fräulein Nette steht zwischen zwei Männern, einem schönen und einem schlauen, einem reichen und einem armen, und weil die Liebe schon im 19. Jahrhundert nicht ganz einfach war, fasst Wikipedia den Konflikt in der Autorenbiographie heute mit zwei Worten zusammen: Unverheiratet geblieben. Wie es dazu kam, das erzählt der Roman aufs kurzweiligste und fern ab jeden Anflugs von Jane-Austen-Kitsch. Die Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen, wie den Brüdern Grimm, sind ein zusätzlicher Pluspunkt – wobei mein persönliches Highlight die Schilderung diverser literarischer Diskussionen darstellt, die mich sehr an immer wieder aktuelle Gespräche im Forum der 42er Autoren erinnerten.
Also kurz zusammengefasst: ein herrlicher Roman, den ich bald wieder lesen werde.
Ihre
Joan Weng