Kräutersuppe und Ostfriesentorte

Schietwettergeschichte von Monika Detering

Camilla bemerkte, dass Gottlieb sie verehrte. Da sich seit Ewigkeiten kein anderer Mann für sie interessierte, wollte sie sich an Gottlieb gewöhnen. Nun ja. Er war nicht gerade hochgewachsen, ging Camilla höchstens bis zum Hals bei ihren Einmetersiebzig. Schade, dass ihm dazu so flusiges Haar wuchs. Auch der Vorname gefiel ihr nicht besonders. Aber – alles konnte man eben nicht haben. Wer war schon perfekt?

Ihr breites, flaches Gesicht hatte sie von ihrer Großmutter geerbt, dagegen war nun nichts zu sagen. Auch nicht, dass ihre murmelrunden Augen stets neugierig wie die einer Haselnussmaus um sich blickten.

Sie war eben aufmerksam. In der Zeit, als Camilla sich immer öfter mit Gottlieb traf, erbte er. Das gefiel ihr. Besonders, da er von dem Geld ein winziges Haus kaufte, allein, um ihr eine große Freude zu bereiten. Welcher Mann machte dies schon?

Das Backsteingebäude befand sich auf einer kleinen Anhöhe zwischen Dorf und Stadt. Es gab Pappeln, Wiesen, auch Brachland und in der Sonne sah die Gegend idyllisch aus.

Gottlieb wünschte sich, dass Camilla hier glücklich wurde. Er hatte wohl überhört, dass sie die Stadt und nicht die Ödnis liebte. Camilla versuchte, sich tapfer an die neue Umgebung zu gewöhnen. Nur der nächste Ort war so umständlich zu erreichen. Sie gewöhnte sich an, einmal die Woche mit dem Bus in die Stadt zu fahren, um der Einsamkeit zu entkommen. Sie schaute sich weder Auslagen noch Sehenswürdigkeiten an, sie hatte sich so an ihren Aufenthalt in dem Haus auf der Anhöhe gewöhnt, dass sie jedes Mal im Cafe Punsch am Fenster saß, immer zwei große Stücke Ostfriesentorte aß und dazu ostfriesischen Schietwettertee trank. Allein schon der Name gefiel ihr, egal, ob es regnete oder die Sonne schien. Die Mischung aus Zimt, Zitronenschalen und Nelken gab ihr für den Rest des Tages die Entspannung, die sie brauchte.

***

Nicht, dass Camillas Ausflüge Gottlieb störten. Er arbeitete im Samen- und Pflanzenhandel und brachte neuerdings Broschüren über Kräuter mit. „Damit du auch ein Hobby hast und nicht ständig in die Stadt fahren musst!“, sagte er und lächelte liebevoll. Camilla blätterte. Sie unterdrückte gelangweilte Seufzer, so lange, bis sie die Abbildungen von Schöllkraut und Stechapfel entdeckte. Nun zeigte sie Interesse, und Gottlieb brachte ihr verschiedene Sorten zum Aussäen mit. Es war April, eine günstige Zeit dafür. Bald wuchsen durchsichtiggrüne Spitzchen, die zu hellgrünen Spitzen wurden, von gelbem bis zu sattem Grün wechselten. Camilla freute sich auf den Sommer, wenn der Stechapfel in den Nächten zu blühen begann. Gottlieb warnte: „Vergiss nie Handschuhe bei der Aussaat anzuziehen, du hast ja gelesen, dass sie giftig sind.“ Auch das Schöllkraut wuchs. Es sollte gegen Warzen wirken, auch wenn Camilla und Gottlieb keine hatten. Aber vielleicht Nachbarn. Dann konnte sie helfen.

***

Mitten im Sommer und während des üppigen Kräuterwachstums begann Gottlieb über seine Gesundheit nachzudenken. Zog sich abends zurück, verweigerte den Feierabendtee und studierte Kochbücher, machte Tabellen, verglich die Wirkungsweisen verschiedener Pflanzen und stellte nach sorgfältigem Prüfen Zutaten für eine Kräutersuppe zusammen. Die Liste hängte er an die Küchenwand und bat Camilla, jeden Dienstag die Suppe für ihn zu kochen.

Gottlieb hatte sich in der Firma mit Hubert Angel angefreundet, der in der Rangordnung der Samenverkäufer über ihm stand. Der ihm Anweisungen gab, die Gottlieb erfüllen musste. Trotzdem lud Gottlieb ihn samt Gattin ein. Inzwischen kamen die Angels einmal im Monat in das Haus auf der Anhöhe. Stets fuhr das Paar im glänzenden grauen Jetta vor. Wahrscheinlich gab es keinen Menschen mehr, der so ein Modell besaß. Aber der Wagen fuhr. Mehr wollte Angel nicht. Camilla kochte abwechselnd Sahneschnitzel und Huhn in delikater Kräutersoße. Die Unterhaltungen wechselten zwischen den Vorzügen des Land- und des Verkäuferlebens. Über seine Sorge um die Gesundheit redete Gottlieb nicht. Er sprach lange mit Angel über seine Arbeit und wünschte sich mehr Verantwortung. Kurz darauf durfte Gottlieb den Wareneinkauf tätigen. Immer mehr Verantwortung bekam er und musste auch auf Geschäftsreisen. War zwei, drei Tage lang fort und kam oft recht aufgekratzt zurück, er wurde lebhafter, sehr viel mehr als sonst. Nach diesen Geschäftsreisen liebte er Camilla mit neuen Stellungen, Worten und lange, so lange, bis Camilla erschöpft unter ihm einschlief.

Gottlieb gefiel das neue Leben. Nur der Firma ging es immer schlechter. Der Wareneinkauf war überdimensioniert, Unverkäufliches stapelte sich im Lager. Gottlieb musste entlassen werden.

Bald wusste Gottlieb nicht mehr, was er tagsüber tun sollte, die fleißige Camilla ließ ihm keine Arbeit übrig. Er nörgelte sich durch die Stunden. Neuerdings klagte er über Herzbeschwerden. Besorgt bat er Camilla, ihm nun drei Mal die Woche seine Kräutersuppe zu kochen, damit es ihm wieder besser ging.

Es wurde nicht besser. Die Sorgen erdrückten Gottlieb, er schien zu schrumpfen, gebeugt wanderte er unruhig durchs Haus, hielt Mittel- und Zeigefinger gegen die linke Halsseite. Camilla übersah das und schimpfte oft: „Schreib Bewerbungen! Der neue Supermarkt in der Stadt sucht noch Personal! So geht es nicht, hier den ganzen langen Tag herumzuschleichen. Du bist nicht krank. Wovon sollen wir denn leben?“

Dafür hatte er nur diesen elenden waidwunden Blick. Zur Abwechselung wusch er sich fast halbstündlich die Hände. „Bazillen, wir haben so viele Bazillen im Haus!“

Camilla fuhr immer öfter in die Stadt. Allein schon, um nicht das Plätschern des Wasserhahns hören zu müssen. Sie informierte sich in Gärtnereien und Blumengeschäften über Herbstblumen und Sträucher. Aber ganz besonders fragte sie nach den Wirkungsweisen der Kräuter wie Stechapfel, Schöllkraut und Pfaffenhütchen. In einer Gärtnerei kaufte sie Herbstzeitlosen und freute sich an den schönen Blüten. Die Gärtnerin erklärte, dass die Blume äußerst giftig sei. „Nicht dass Ihre Katze davon frisst.“

„Wir haben keine Katze.“

Sie änderte das Suppenrezept, ohne Gottlieb davon in Kenntnis zu setzen. Sie begann mit Blättern der schwarzen Kirsche und Stechäpfeln. Variierte mit Wanzenkraut, größeren Mengen frischer Küchenschelle und behutsamen Prisen vom Pfaffenhütchen. Schöllkraut und Mistelbeeren gaben der Suppe die besondere Note.

Schon drei Tage später verstörten Gottlieb heftige, anhaltende Kopfschmerzen. Die Gegenstände um ihn herum begannen unscharf zu werden, und manchmal sah er sie sogar doppelt. Als Bauchkrämpfe, Herzrasen und Schwindelanfälle ihm zusetzten, wurde er äußerst besorgt. Liebevoll hielt Camilla seinen Kopf, während er sich erbrach.

Seine Haut wechselte von frischem Rosa ins Graublaue, und Heiserkeit begann ihn zu plagen. Er bat Camilla mit leiser Stimme nun um tägliche Suppe. Aber trotz zusätzlicher Pfefferminze und einem Extrakamillentee wurde er immer müder.

Sein Sprechbedürfnis nahm rapide ab. Seine Gedanken verhedderten sich. Camilla fragte, ob er einen Arzt wünschte, und stützte den schwach gewordenen Mann mit einem Kissen, öffnete das Fenster und flößte ihm löffelweise Suppe ein.

***

Am dreißigsten Tag brauchte Camilla nicht mehr zu kochen.

Entspannt vor sich hinsummend erinnerte sie sich lächelnd an die Ausflüge ins Cafe Punsch. Sie fuhr in die Stadt und aß an diesem Nachmittag mit großem Genuss die Ostfriesentorte und trank dazu, fein gesüßt, ihren Schietwettertee. Sie freute sich unbändig auf ihren Job in der Gärtnerei, wo sie sich ganz besonders den Kräutern und den Fragen der Kunden widmen soll.

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