Schreibrituale oder Morgens

Während ich dies hier schreibe, ist es sechs Uhr morgens – wegen der kürzlich erfolgten Zeitumstellung dämmert es leider gerade erst; vor der Zeitumstellung war es um diese Zeit schon richtig hell. Es ist noch zu kalt, um auf dem Balkon zu sitzen, wie ich es im Sommer gern tue. Also sitze ich an meinem Schreibtisch im Arbeitszimmer, mit Blick auf Bäume, deren Äste gerade jetzt erste grüne Spitzen zeigen. Ich sitze an meinem Schreibtisch, den ich gestern Abend noch aufgeräumt habe – so kann ich am Morgen sofort losschreiben. Vor mir liegen Zettel mit Stichworten, die ich ebenfalls gestern Abend zurechtgelegt habe, damit ich am Morgen nicht darüber nachdenken muss, an welchem Text ich arbeiten will oder welcher gerade zuerst geschrieben werden soll. Mein Ritual beginnt also schon am Abend, wenn ich alles vorbereite, damit ich morgens nur den Stift in die Hand nehmen und schreiben muss – nach dem Kaffeekochen, versteht sich. Heute steht auf dem Zettel Blogtext zuoberst, wie Sie sehen können. Ansonsten steht da: Kapitel 8, Szene 2 überarbeiten und Kapitel 9 entwerfen. Außerdem zwei Themenvorgaben zu Kurzgeschichtenwettbewerben, an denen ich teilnehmen möchte. Mehr brauche ich – außer Kaffee – nicht. Es ist die Zeit des Tages, in der ich am konzentriertesten arbeiten kann.

Ich weiß, das klingt wie abgeschrieben aus einem Schreibratgeber. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass ich die Morgenstunden schon entdeckt habe, als ich noch keinen einzigen Schreibratgeber gelesen hatte, weil ich damals noch gar nicht geschrieben, sondern statt dessen eine Fremdsprache gelernt habe. Ich behaupte auch nicht, ich sei in den Morgenstunden am kreativsten. Ich kann mich morgens einfach nur viel besser konzentrieren als zu anderen Tageszeiten.

Übrigens gibt es noch etwas, was die Morgenstunden so leicht macht: Morgens streiten meine inneren Stimmen nicht miteinander. Denn die Stimme, die sonst gern flüstert, dass ich ja auch noch meine Steuererklärung machen muss und endlich mal wieder die Fenster putzen und meine adoptierte Oma Irene anrufen sollte, schläft morgens noch und lässt sich von einem kratzenden Füller auf Papier nicht wecken. Erst der Computer weckt diese Stimme. Auch deshalb schreibe ich gern mit Füller – auch so ein Ritual wie aus einem Schreibratgeber, aber ich schreibe auch schon länger mit Füller als ich Schreibratgeber lese. Mit dem Füller zu schreiben, bedeutet für mich, direkter zu schreiben. Es ist eine Art Materialsammlung, alle Sätze, die mir zum Text, der Szene einfallen, kommen aufs Papier und erst wenn sich das Ende des Textes oder der Szene abzeichnet, tippe ich den Text in den Computer. Dabei fallen erste Füllwörter weg und Redundanzen und manch besonders scheußliche oder unbeholfene Formulierung, die ich zunächst in Ermangelung einer besseren mit der Hand niedergeschrieben habe. Aber das geschieht erst später, wenn ich den Computer anschalte. Das aber vermeide ich in dieser ersten Stunde des Tages. An Tagen, in denen ich nicht ins Büro gehe, schreibe ich gern auch die ersten zwei oder drei Stunden mit dem Füller. Denn wenn ich den Computer anschalte, lasse ich mich erst einmal ablenken von Mails, Facebook, dem 42er Forum und den Neuigkeiten aus der Welt. Und erst wenn das erledigt ist, kann ich anfangen, zu tippen. Dann aber ist die konzentrierteste Zeit des Tages vorbei. Dann ist auch die andere Stimme wach, die es liebt übers Putzen und Steuererklärungen und solche Dinge zu reden.

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass ich nachmittags nicht schreibe und dass ich nicht hin und wieder Texte auch sofort in den Computer schreibe. Es ist dann nur anders und irgendwie anstrengender.

Freunde oder Kollegen bewundern mich manchmal dafür, wie konsequent ich morgens aufstehe. Aber für mich sind diese Morgenstunden ein Geschenk – ich schenke mir ein, zwei Stunden volle Konzentration. Dafür lohnt sich frühes Aufstehen allemal, finde ich.

Ihre Dorrit Bartel

 

 

Teilen:

Schreibe einen Kommentar