Interview mit Wolfgang Hörner von Galiani Berlin
Es fragte Joan Weng
2009 gründeten Wolfgang Hörner und Esther Kormann in Berlin Mitte einen Verlag, den heute jeder Büchernarr kennt: Galiani Berlin.
Herr Hörner, Sie kommen ursprünglich ja von Eichborn: Wann ist in Ihnen der Wunsch entstanden, ein eigenes Verlagshaus zu gründen und warum?
Nachdem Eichborn lange Zeit ein großartiger, unberechenbarer, anarchischer Verlag, 18 Jahre lang mein Leben gewesen war (für Esther 10 Jahre), wurde die Situation dort mehr als schwierig. Wir hatten irgendwann einen ziemlich unfähigen Vorstand, der von einem noch unfähigeren Aufsichtsrat unterstützt wurde. Zweimal hatten sämtliche (!) Mitarbeiter den Aufstand geprobt: das erste Mal mit dem vernichtenden Ergebnis, dass der Vorstand blieb, die komplette (ziemlich gute) Geschäftsführung ging und nur ein zweiter Neben-Vorstand eingesetzt wurde (für den nach einem Jahr aber wieder Schluss war); das zweite Mal mit dem Ergebnis, dass der Vorstand tatsächlich entlassen wurde – aber der, der als Ersatz eingestellt wurde, auf andere Art unfähig war. Da war meine Geduld erschöpft und nach kurzer Beratung mit Esther beschlossen wir, eigene Wege zu gehen.
Wie würden Sie Ihr verlegerisches Selbstverständnis einschätzen. Kann man sich etwas Derartiges in Zeiten des hart umkämpften Buchmarktes überhaupt noch leisten?
Wir machen tatsächlich nur Bücher, die wir wirklich gut, überraschend, aufregend finden und von deren Qualität oder Originalität wir überzeugt sind. Irgendeine Art Humor haben alle, eine Tiefe haben alle auch und, tja, Menschlichkeit, ich kann’s nicht anders sagen. Für die versuchen wir dann, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Kontakten und einer gewissen Leidenschaft, Leser zu finden.
Je mehr andere Verlage versuchen, Bücher zu machen, die sie selbst nie lesen wollten, von denen sie aber denken, imaginäre Leser (die sie nicht kennen) wollten so etwas haben, desto leichter ist es für die verbliebenen Überzeugungstäter. In der Tat ist das aber natürlich immer ein ziemlicher Balanceakt. Zu bizarr und eigen dürfen die Bücher nicht sein (sonst ist das Publikum zu klein), zu ‚mainstreamig‘ auch nicht, sonst würden wir austauschbar. Vieles, was ich ganz großartig finde, gibt es bei Galiani nicht – elisabethanische Lyrik zum Beispiel, ein paar expressionistische Avantgardisten, spanische Manieristen, meine oft recht randständigen Helden der Aufklärung oder extrem unbekannte Naturbeobachter wie meinen Lieblingsdichter John Clare. Wenn Galiani zu viele Bücher macht, von denen kaum etwas gekauft wird, verliert der Buchhandel das Vertrauen, dass das, was wir auswählen, auch ein Publikum findet. Solange wir aber die Balance halten, können wir auch für ein paar schwierige und wirklich ungewöhnliche Autoren viele Leser finden, darin liegt unser Eros.
Dieses verlegerische Selbstverständnis können wir uns nicht nur leisten, wir müssen es haben, sonst braucht es uns nicht. Zum Glück haben wir mit Kiepenheuer & Witsch einen Partner, der im Grunde ein ähnliches Selbstverständnis hat und der die – nicht immer ganz einfachen – Galiani-Titel auch mit Verve vertrieblich fördert.
Sie haben zahlreiche Klassiker im Programm, von den „Nachrichten vom Vesuv“ Ihres Namenspaten Ferdinando Galiani über Michail Bulgakow bis zu einer wunderschön bebilderten Nacherzählung des finnischen Nationalepos „Kalevala“. Nach welchem Prinzip wählen Sie aus?
Die Weltliteraturgeschichte hat eine erstaunliche Zahl großartiger Werke und Autoren zu bieten, aber die Kunst ist, zu spüren, wann die Zeit reif dafür ist, einem dieser Autoren ein Publikum zu verschaffen bzw. den Hebel zu finden, mit dem man das tun kann.
Klassiker sind meine persönliche Passion. Bei Bulgakow hatten wir das Glück, einen Übersetzer zu treffen (Alexander Nitzberg), der den Büchern einen ganz neuen Auftritt verschaffen konnte – man liest Bulgakow in seiner Übersetzung ganz anders. Beim „Kalevala“ gab es 2014 den Frankfurter Gastlandauftritt Finnlands und wir hatten mit Tilman Spreckelsen (Text) und Kat Menschik (Illustrationen) ein Team, das dem Original auf gewisse Weise treu bleiben konnte, ihm aber eine Form zu geben vermochte, das den Text für viele interessant macht. Die neue Lukrez-Übersetzung zu verlegen habe ich mich getraut, nachdem mit Stephen Greenblatts Besteller „Die Wende“ der Name Lukrez im Buchhandel positiv besetzt war. In allen Fällen war auch die persönliche Bekanntschaft mit den Übersetzern, Nacherzählern, Illustratoren wichtig. Im Idealfall bewundern wir die Arbeit unserer Autoren, aber teilen auch ästhetische Vorlieben oder finden sie auch als private Menschen angenehm.
Ich bin durch die Werksausgaben von Daniil Charms auf Ihren Verlag aufmerksam geworden. Diese waren – meines Wissens– in keinem anderen Verlagshaus zu bekommen. Daniil Charms und seinem Leben haben Sie überhaupt mehrere Bücher gewidmet. Gibt es einen speziellen Grund dafür?
Ich glaube, bei uns gibt es kein einziges Buch, das nicht eine gewisse Art anarchischen Humors hat. Charms ist die Verkörperung anarchischen und zugleich existenziellen Humors.
Aber Sie verlegen ja nicht nur Klassiker, auch viele moderne und bereits arrivierte Autoren wie Karen Duve veröffentlichen bei Ihnen. Was macht Ihrer Meinung nach den Reiz Ihres Verlagshauses aus?
Karen Duve, Sven Regener, Jan Costin und andere haben schon ihre Debüts bei uns gemacht, Autoren wie Linus Reichlin, Frank Schulz, Tim Krohn u. a. verlegten wir auch schon bei Eichborn Berlin – wir kennen uns einfach gegenseitig sehr gut und vertrauen uns. Aber dann sind auch Peter Wawerzinek, Alain Claude Sulzer, Hanns Zischler, Jakob Hein, Irena Brezna und andere zu Galiani gekommen. Die Frage „Warum?“ müssten sie ja eigentlich diesen Autoren stellen, aber ich denke, sie sehen, dass wir uns für sie und ihr Werk mit vollem Einsatz ins Zeug werfen, mögen unser Programm und fühlen sich verstanden. Dann sehen die Bücher auch noch gut aus, wir finden und gegenseitig fähig und sympathisch, und bei einem kleinen Verlag wie Galiani gibt es schnell auch eine Art Gruppengefühl, wenn auch die Autoren (und wir Galiani-Mitarbeiter auch) zum Glück alle dezidierte Individualisten sind.
Ich muss gestehen, als ich 2010 selbst mit dem Schreiben angefangen habe, da habe ich mir ein bisschen gewünscht, bei Ihnen zu debütieren. Einfach, weil Ihre Bücher so wunderschön aussahen. Daraus ist jetzt nichts geworden, aber unsere Leser interessiert natürlich trotzdem ganz besonders: Wie bewirbt man sich am besten bei Ihnen? Wie gut stehen die Chancen, für eins der berühmt-berüchtigten unverlangt eingesandten Manuskripte überhaupt gelesen zu werden und wie viel Geduld muss man mitbringen?
Es ist nicht so, dass wir besonders grausam wären – aber weil wir unser Programm sehr klein und ausgesucht halten und die Autoren uns sehr treu sind, ist da kaum Platz für etwas Neues, das muss man leider sagen. Ich musste schon viele gute Autoren ziehen lassen – einfach mehr ist keine Lösung. Wir können Bücher – zumal von noch unbekannten Autoren – nur dann bewegen, wenn wir auch etwas dafür tun. Und wir kriegen sehr viele Zuschriften, da kann es mitunter schon ziemlich lange dauern, bis es gelesen ist. Allerdings: gelesen wird alles – und die Debüts von Jenny Erpenbeck und Petra Morsbach z. B. sind dermaleinst aus dem Stapel unverlangt eingesandter Manuskripte gefischt worden. Wenn etwas ganz und gar Ungewöhnliches und Begeisterndes auftaucht, sind wir dabei.
Zugegebenermaßen meist von unveröffentlichten Autoren hört man immer wieder Schauergeschichten von Texten, die wegen eines falschen Kommas auf der ersten Seite gar nicht geprüft wurden. Worauf achten Sie bei Manuskripten ganz besonders?
Nein, Kommasetzung u. Ä. ist bei uns völlig egal – aber wenn da ein bürokratisch klingendes oder formelhaftes Anschreiben kommt, in dem sich jemand als literarischer Autor vorstellen will, dann ist das Misstrauen groß. Finden sich aber auf den ersten Seiten ein paar teilgeniale Sätze oder Gedanken, ist der Weiterlesewille groß! Für mich fängt gute Literatur bei guten Sätzen an, ohne ganz ungewöhnliche Sprache geht nichts.
Haben Sie für unsere Leser noch einen besonderen Buchtipp aus Ihrem Programm? Was darf man denn dieses Frühjahr auf keinen Fall verpassen?
Herrje, das kommt ganz drauf an, welcher Leser man ist – wir machen ja alle Bücher aus vollem Herzen. Aber von denen, die grad schon lieferbar sind: Frank Schulz dürfte der komischste und zugleich herzzerreißend traurigste Autor deutscher Zunge sein und dabei noch spracherfinderisch wie kein Zweiter. Linus Reichlins neuer Roman ist – das sagt er selbst, von einer Intensität wie noch keiner davor. Und Hilmar Klutes Ringelnatzbiographie ist ein kleines geniales Meisterwerk – inhaltlich wie stilistisch. Ich sag‘ das nicht nur so daher, ich mein‘ es auch.
Dann, Herr Hörner, danke ich Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich genommen haben, aber ganz besonders möchte ich mich für Ihre Arbeit bedanken: Ihre Bücher haben mir schon sehr viel Freude gemacht. Vielen, vielen Dank!