Aphorismen schreiben (1)

Letzten Samstag waren wir in Würzburg. Wir sind ganz früh gefahren, weil wir es lieben, durch die Stadt zu gehen, wenn noch kein Trubel ist. Die meisten Geschäfte haben noch geschlossen, sie öffnen ja erst um 9 oder 10 Uhr, aber auf dem Markt ist bereits etwas los. Da kann man sich noch alles ansehen, ohne sich nach vorne drängeln zu müssen. Das beste Gemüse, das frischeste Obst ist noch zu haben, nicht zu vergessen die fränkischen Pilze und Beerenfrüchte. Später haben wir uns getrennt – wie üblich – denn die Orte, die meine Frau aufsucht, interessieren mich nicht, wie sie sich nicht für das interessiert, was ich mir ansehe. Meistens jedenfalls. 

Ich bin wieder eine große Runde gelaufen: Zur Residenz, in der Kapuzinerstraße an dem Haus vorbei, in dem Richard Wagner 1833 wohnte und seine erste vollständige Oper „Die Feen“ schrieb, bis ich zuletzt in die Nähe von Walthers Grab kam. Da ging ich aber nicht hin, sondern schräg gegenüber zu dem Antiquariat. Nur ein bisschen gucken, ohne feste Absicht. Wie so oft kam ich aber nicht ohne Buch wieder davon. Diesmal mit „Karlchen Album“ von Karl Ettlinger. Schon beim Aufschlagen hatte ich mich festgelesen, nämlich in den Artikel: „Wie man Aphorismen macht“. Da ich selbst inzwischen „Aphoristiker“ bin, seit in einer einschlägigen Veröffentlichung ein Aphorismus von mir vertreten ist, interessiert mich die Technik, Aphorismen aus dem Ärmel zu schütteln, natürlich sehr.

Der Autor, Karl Ettlinger, wurde 1882 in Frankfurt am Main geboren. Er arbeitete als Journalist, Kabarettist und Buchautor. Den Ersten Weltkrieg überstand er mit einer schweren Verletzung. Nach der Entlassung aus dem Kriegsdienst war er Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Jugend“, die wesentlich den „Jugendstil“ mitgeprägt hat. Besonderen Erfolg hatte er mit seinen Karlchen-Geschichten, mit denen er auch auf Theaterbühnen unterwegs war. 1933 gab es von den Nationalsozialisten jedoch Arbeits-, 1939 Schreibverbot. Er entschloss sich, zu seinem Bruder in die USA auszureisen. Zuvor musste er an der Galle operiert werden. Nach der Operation verstarb er jedoch an Herzversagen. Vergessen wurde er nicht, schon gar nicht in seiner Heimatstadt Frankfurt. Nach dem Krieg brachte der Volksschauspieler Carl Luley alljährlich zu Weihnachten Ettlingers Mundartfassung von Schneewittchen im Radio. Einige Werke sind bei gutenberg.org zu finden.

Freuen Sie sich schon auf seine Anleitung zum Verfassen von Aphorismen, die wir an den kommenden Sonntagen vollständig im Blog veröffentlichen werden.

Ihr Horst-Dieter Radke

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