Aus drei mach eins: Die Kriminalromane des Stefan Brockhoff

Am 25. März 1937 schrieb der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser ein Typoskript, das er „Offener Brief über die ‚Zehn Gebote für den Kriminalroman‘“ nannte. Er wandte sich damit an den Autor Stefan Brockhoff, der diese „Zehn Gebote“ am 5. Februar 1937 in der Zürcher Illustrierten veröffentlicht hatte. Stefan Brockhoff war auffällig geworden mit Kriminalromanen, musste also etwas von der Sache verstehen. Glauser selbst war mit seinem ersten Wachtmeister-Studer-Roman im Jahr zuvor erstmals von der Öffentlichkeit als Schriftsteller wahrgenommen worden. Heute ist er bekannt und sogar Namensgeber für einen renommierten deutschen Krimipreis. Wer aber war Stefan Brockhoff?

Erst um die Jahrtausendwende herum wurde bekannt, dass sich hinter diesem Pseudonym drei Autoren versteckten: Dieter Cunz (1910–1969), Richard Plant (1910–1988) und Oskar Seidlin (1911–1984). Alle drei emigrierten zwischen 1933 und 1935 aus Deutschland in die Schweiz und wanderten später in die USA aus. Zwei von ihnen waren jüdischer Herkunft, alle drei homosexuell und eher links orientiert. Das Klima in Deutschland war für sie denkbar ungesund. Oskar Seidlin und Richard Plant promovierten an der Universität in Basel, Dieter Cunz schrieb seine Dissertation noch in Deutschland, bevor er den Freunden in die Schweiz folgte. Alle hatten schriftstellerische oder journalistische Erfahrung, Plant veröffentlichte 1936 außerdem ein Kinderbuch. Die Fremdenpolizei und der Schweizerische Schriftstellerverband machten es den Emigranten nicht leicht, sondern untersagten Veröffentlichungen. Deshalb schufen die drei sich ein Pseudonym. Dieter Cunz’ Mutter wohnte in der Brockhoffstraße, und so wählte man diesen Namen für die Krimis, die die drei Autoren ausschließlich wegen des Gelderwerbs schrieben. Vier wurden es insgesamt, ein fünfter ist eher ein Liebesroman, auch wenn ein Kommissar darin vorkommt.

Da alle von ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung her literarisch vorbelastet waren, dürfte das Pseudonym aber auch eine Art Absicherung gewesen sein, um die akademische Karriere nicht zu gefährden. Wo ihre literarischen Interessen tatsächlich lagen, kann man am ersten Krimi „Schuß auf die Bühne“ erkennen. Das Theater steht im Mittelpunkt der Mordgeschichte, und man merkt durchaus, mit welchem Spaß die drei an diesem Krimi arbeiteten. Wie die späteren Romane auch, erschien er zunächst als Fortsetzungsgeschichte in der „Zürcher Illustrierten“ und kam dann bei Goldmann in Leipzig (nach dem Krieg in München) heraus. Der zweite Roman „Musik im Totengässlein“ folgte ein Jahr später. Erfreulicherweise gibt es diesen Roman in einer Neuausgabe (Chronos Verlag, Zürich 2007, ISBN 978-303400833-4), mit einem umfangreichen Anhang, der nicht nur die „Zehn Gebote“ und Glausers „Offenen Brief“ enthält, sondern auch biografische Anmerkungen zu den drei Autoren.

Im Jahresabstand folgten „Drei Kioske am See“ und „Begegnung in Zermatt“, nur als Fortsetzungsroman 1938 noch „Verwirrung um Veronika“. Die vier Romane erschienen 1954 noch einmal als Goldmann Taschenkrimi. Alle Romane handeln in der Schweiz, der zweite hat sogar eine spezielle Straße – das Totengässlein in Basel – als lokalen Mittelpunkt. Es gibt einen Kommissar Wienert, der aber nicht über besondere Originalität und Kombinationsgabe verfügt. Die Ermittlungsarbeit erledigen vor allem andere Protagonisten.

Die drei Autoren verließen 1938 die Schweiz und gingen in die USA. Cunz und Seidlin machten eine akademische Karriere, Plant blieb Schriftsteller und beschäftigte sich mit dem Schicksal der Homosexuellen im nationalsozialistischen Deutschland, das Aufzuklären er als seine Lebensaufgabe ansah.

Lohnt es sich, diese alten Scharteken heute noch zu lesen? Ich denke schon. Zumindest den zweiten Krimi, „Musik im Totengässlein“, der nicht nur meiner Meinung nach der beste der vier ist. Der ist auch am leichtesten zu beschaffen. Bei den anderen muss man auf Antiquariate ausweichen oder Glück auf Flohmärkten haben, wobei die alten Taschenbücher oft in einem Zustand sind, der beim Lesen wenig Vergnügen bereitet.

Zum Abschluss dieses Artikels noch die Kurzfassung der „Zehn Gebote“ (an die sich die drei Autoren selbst nicht immer mit aller Konsequenz hielten):

  1.  „Alle rätselhaften Ereignisse … müssen am Schluß erklärt und aufgelöst werden.
  2. Die Ereignisse … dürfen nicht nur dazu erfunden sein, den Leser irre zu führen.
  3. Der Erzähler soll nicht um jeden Preis originell sein wollen.
  4. Der Täter soll ein Mensch sein …
  5. Auch der Detektiv soll ein Mensch sein …
  6. Ein Kriminalroman soll den Kampf zwischen den listigen Taten eines Verbrechers und den klugen … Überlegungen des Detektivs darstellen.
  7.  Der Täter muß in dem Geflecht der Handlungen und Personen an der richtigen Stelle stehen.
  8. Nicht alles, was geschieht, kann … gezeigt werden. … aber von allem, was geschieht, muss der Leser etwas erfahren…
  9. Der Autor soll seinen Leser nicht ermüden.
  10. Es ist wünschenswert, dass der Leser die entscheidenden Ereignisse wirklich vorgeführt bekommt und miterlebt.“

Dass diese „Gebote“ von Krimiautorinnen und -autoren nicht sämtlich zu berücksichtigen sind, steht außer Frage. Über das eine oder andere Gebot einmal nachzudenken, bevor man locker drauflos schreibt, kann aber nicht schaden.

Ihr

Horst-Dieter Radke

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