Eigentlich mache ich um Romane, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts spielen, einen großen Bogen. Für mich steht dieses Jahrzehnt für bittere Armut, hohe Kriminalität und den aufkommenden Nationalsozialismus. Eine deprimierende Zeit, mit der ich mich zu Schulzeiten schon ausgiebig auseinandersetzen musste, wozu ich in meiner Freizeit aber wenig Lust empfinde, zumal ich in meiner Fantasie auch immer schon die wenig erfreuliche Zukunft der Protagonisten vor Augen habe.
Doch der Roman „Die Frauen vom Savignyplatz“ von Joan Weng lockte mich trotz aller Bedenken. Eine junge Frau, die sich in dieser schweren Zeit auf den Weg zu einem selbstbestimmten Leben macht, das interessierte mich.
Und so habe ich Vicky kennengelernt, die eigentlich Gusta heißt, diesen Namen aber nicht mag und sich so einen moderneren, man könnte auch sagen emanzipierteren, zugelegt hat. Zu Beginn des Buchs soll Vicky verheiratet werden, natürlich standesgemäß mit einem reichen Tucherben. Vicky zählt zu dieser Zeit zarte siebzehn Lenze, verliebt sich sehr zum Leidwesen ihrer Eltern in einen armen Fürsorgestudenten – heutzutage würde er Bafög bekommen – und wird schwanger. Die beiden heiraten, doch neun Jahre und vier Kinder später verlässt ihr Willi sie für eine andere.
Vicky hat die Nase voll von der Abhängigkeit und möchte in Zukunft selbst für sich und die Kinder sorgen. Doch das ist leichter gesagt, als getan, schließlich steht eine ordentliche, deutsche Frau in der damaligen Zeit für die drei großen Ks: Kinder, Küche, Keller.
Joan Weng beschreibt einfühlsam die beengte Wohnsituation, die finanziellen Engpässe und die Anfeindungen gegenüber einer emanzipierten Frau. Hinzu kommen liebevoll gezeichnete Charaktere wie zum Beispiel der kriegstraumatisierte Bruder Bambi, der einen mit seiner optimistischen, nachdenklichen Art gleich gefangen nimmt.
Überhaupt hat mich dieser Roman recht schnell in seinen Bann gezogen. Ich blättere Seite um Seite um, will unbedingt wissen, ob Vicky es schaffen wird, sich ihren Traum von der eigenen Buchhandlung zu erfüllen. Denn darum ist es schlecht bestellt, da neben all den anderen Schwierigkeiten, denen sie sich ausgesetzt sieht, auch noch die Braunhemden auf sie aufmerksam geworden sind.
Bevor ich hier aber zu viel verrate, setze ich mich lieber wieder auf mein Sofa und lese rasch noch ein Kapitel.
Es grüßt Sie herzlich,
Cordula Broicher