Das unentbehrliche Schreibhelferlein: Der Spindelrasenmäher

Ich bin ein großer Fan vom Spindelrasenmäher. Das ist so ein Ding, auf dem man nicht sitzen kann, jedenfalls nicht bequem, und das unten ein Kurbelmesser hat, das nur per Muskelkraft bewegt und angetrieben wird. Wahnsinn, dass es so was gibt, was!? Er ist außerdem wie geschaffen und eigentlich unentbehrlich für Autoren. Erstens kostet er nicht viel, kürzlich habe ich meinen Brill Handrasenmäher mit der Typenbezeichnung „Reform 33“ für nicht mal vierzig Tacken bei Ebay gesehen. Aber was vielleicht noch schöner ist, man mäht damit nicht nur den Rasen, sondern auch seinen Kopf. Durch die Bewegung an frischer Luft und das lustige Kurbelgeräusch kriegt man den Kopf frei und in nullkommanix liegen alle Sorgen und Nöte, die einem den Schlaf rauben könnten, auf dem Kompost.

Ein Wort noch zum Spindelmesser. Kein Vergleich mit den barbarischen Sichelmessern der Konkurrenzmäher, die die Köpfe der Grashalme nur mit blanker Gewalt abhauen, statt sie säuberlich abzuschneiden wie bei der Spindel. Übrigens ein Patent aus dem Zeitalter der Aufklärung, als auch die schmerzfreie Guillotine erfunden wurde. Sssst und ab. Dieser Zusammenhang wird häufig viel zu wenig gewürdigt.

Und jetzt sollte ich noch mal die Vorgeschichte zu meinem Brilli einschalten, wie kam ich eigentlich auf die glorreiche Idee, ihn wieder auszumotten? Das kam so, dass eines Tages unser alter grüner Elektromäher vom Raiffeisenmarkt seinen Geist aufgab. Geist ist vielleicht zu viel gesagt, wenn es sich um einen Wicklungsfehler der Motorspule handelt. Aber für mich war das der Auslöser, dass ich mit schiefgewickelten Elektrogeräten nichts mehr zu tun haben wollte. Evi, meine Frau, sagte: „Weißt du was, jetzt kaufst du dir einen Mäher mit Vorderradantrieb. Du bist ja auch nicht mehr der Jüngste, oder noch besser: einen Aufsitzrasenmäher, ja, das solltest du machen, denn ich wollte immer schon auf so einem Rasentraktor fahren.“

Evi ist klug in vielen Dingen, aber in puncto Fußball, Weltanschauung und Rasenmäher bin ich der Experte. Ich wollte nicht länger mit einem neuen Verbrennungsmotor Deutschlands Klimaziele gefährden, noch wollte ich am langen Kabel der Stromkonzerne hängen. Ich wollte den Schnitt, den grundlegenden Wandel in der Rasenmäherentwicklung.

„Weißt du was,“ sagte ich, „meine Mutter hat doch noch den schönen alten Brilli, den nehm ich.“

Wahrscheinlich hatte Evi sich zu Brilli ganz andere Vorstellungen gemacht, so habe ich sie zum Schweigen gebracht, und ich konnte die Sache in Ruhe anschieben. Schieben ist auch das entscheidende Stichwort. Denn man darf mit dem Spindelmäher nicht einfach kreuz und quer durch den Garten eiern, sondern man muss methodisch vorgehen, das ist so ähnlich wie beim Schreiben, wo man ja auch nicht irgendwo in der Mitte des Blattes anfängt und von dort aus im Rösselsprung kunterbunt durch die Gegend hüpft, in der Hoffnung, dass sich so eine spannende Geschichte entwickelt, sondern man beginnt rationaler Weise oben links, wo der Curser blinkt. Und auch auf dem grünen Rasen mäht man in möglichst langen und geraden Bahnen hin und her, ohne natürlich in das Beet zu trampeln, wo Evi die Fuchsien gepflanzt hat, Ehrensache. Das ist genau so, wie man Zeile für Zeile in seinem Word-Dokument runterschreibt, bis sich automatisch eine neue Seite auftut.

Ist der Brilli „Reform 33“ nicht ein wahres Schätze- und Helferlein für den aufgeweckten Autor? Wobei, hat jemand einen Plan, ob die „Reform 33“ so eine geschichtliche Anspielung sein soll?

Evi teilt naturgemäß nicht meine Spindelbegeisterung. In der Zeit, wo ich gerade den Vorgarten gemäht kriege, hätte sie mit ihrem aufgemotzten Rasentraktor den ganzen Garten geschafft und den der Nachbarn dazu. Da hat sie wieder einmal Recht. Aber dann erinnere ich immer daran, Hans Heinz (das ist ein alter Bekannter von uns, also mehr von mir als von ihr) hat gesagt, wir müssen die alten Dinge, die nur im Handbetrieb funktionieren, ehren, sonst wird der Sozialismus beim nächsten Mal wieder nicht klappen. Der größte Fehler des Sozialismus sei nämlich, so Hans Heinz, die mit Gewalt durchgeführte Industrialisierung der Landwirtschaft gewesen. Also auch im welthistorischen Sinne steckt noch ein enormes Entwicklungspotential in meinem gewalt- und emissionsfreien Spindelmäher.

Und noch was spricht für meinen Brilli. Wenn ich nämlich auf dem Rasen die Reihen abgehe und die Kurbel nur so saust, dann fliegen die sauber abrasierten Grasspitzen wie Buchstaben durch die Luft und setzen sich vor meinem geistigen Auge zu Wörtern und Sätzen zusammen. Und wenn ich fertig bin und der Rasen (Papa hätte gesagt: wie ein Kinderpopo) glatt rasiert ist und in der Sonne glänzt, dann ist auch meine nächste Geschichte fertig, voilá: dieser Blogbeitrag. Und solange das Gras nachwächst, wird es auch immer neue Geschichten und Blogbeiträge geben.

Kollege Horst-Dieter fragt dazwischen: Und im Winter?

Fragen kann der stellen. Dann lasse ich einfach die Katze durch den Schnee laufen: A, B, C!

So, jetzt muss ich los und den Rasenschnitt in meinen Arbeitsgarten bringen, damit er wieder zu Erde werde, und dann gönne ich mir ein Störtebecker alkfrei – während meine Nachbarn ihre zusammengestauchten Grasbags in ihre SUVs wuchten und zur Kompostieranlage C-O-zweien. Prost!

Ihr

Jürgen Block

Teilen: