Eine Australierin in Berlin – ein Küchengespräch

Lucie Stevens kam vor ziemlich genau einem Jahr von Sydney nach Berlin. Sie schreibt an ihrem zweiten Roman – zufällig in meiner Wohnung. Für den 42er Blog hat sie mir einige Fragen beantwortet. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt, und Übersetzer sind seitdem in meiner Hochachtung gestiegen.

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Warum Berlin?

Ich schreibe an einem Roman, der in Berlin 1932/33 spielt, an Quellen dazu komme ich hier viel leichter, als in Australien. Das war ein wichtiger Grund, hierherzukommen.

Hauptsächlich aber bin ich hierhergekommen, um meine Autorenkarriere voranzubringen. In Sydney habe ich nur neben meinem Hauptberuf geschrieben, abends und an den Wochenenden. Meine Zeit hat nie gereicht, um mit dem Schreiben so voranzukommen, wie ich es gern wollte. Nach Berlin zu kommen, bedeutete vor allem, mehr schreiben zu können.

Das heißt, Du brauchst hier in Berlin weniger Geld zum Leben?

Das stimmt. Ich muss hier viel weniger Zeit aufbringen, um Geld zum Leben zu verdienen und habe deshalb mehr Zeit zum Schreiben.

Du schreibst an einem Roman, der in Berlin spielt …

… und in Dessau und ein klein wenig auch in Paris. Aber hauptsächlich in Berlin und Dessau. Der Roman spielt in den letzten Monaten der Bauhaus-Kunstschule. Ich bin mir nicht wirklich sicher, woher diese Idee kam. Ich habe an der Highschool von dieser Kunstschule gehört und war elektrisiert davon. Diese Schule, in der Studenten aus ganz Deutschland und anderen Ländern mit bekannten Architekten und Künstlern lebten und arbeiteten, hörte sich spannend an. Wahrscheinlich blieb es mir deshalb im Gedächtnis. Ich dachte immer, das ist ein faszinierendes Setting mit interessanten Menschen in einem kreativen Umfeld. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was in diesem Roman passieren könnte. Später hatte ich dann die Idee einer Trapezkünstlerin auf der Suche nach ihrer Mutter, von der sie als Kind verlassen wurde. Diese Trapezkünstlerin passte ins Bauhaus. So entstand die Geschichte, die ich erzähle.

Auch dein erster Roman spielt in Europa – es scheint, dass Europa für Dich sehr inspirierend ist?

Ja, mein erster Roman spielt in Frankreich 1913 und auch ein wenig während der Zeit Karls des Großen. Für mich ist Geschichte sehr inspirierend. Oft sind es kleine Details, die mich anregen, über Leute nachzudenken, die in dieser Zeit gelebt haben. Nicht zwangsläufig große historische Ereignisse, aber irgendetwas Ungewöhnliches elektrisiert mich.

Ich weiß nicht, warum australische Geschichte mich nicht in dieser Form interessiert. Vielleicht ist sie mir einfach zu vertraut. Ich hoffe, das ändert sich eines Tages. Im Moment aber ist europäische Geschichte für mich spannender. Vielleicht auch, weil Europa unvertraut ist, sowohl in Kultur und Geschichte als auch landschaftlich.

Und wir haben zu Hause viele europäische Bücher gelesen. Das war Teil meiner Kindheit und vielleicht ist es deshalb für mich so anregend.

Welche Vorstellung hattest du von Berlin, als du hierhergekommen bist?

Meine Idee, in Berlin als Schriftstellerin zu leben, war sehr romantisch. Ich dachte, viele Künstler – auch aus dem englischsprachigen Raum – kommen hierher und ich hatte die Vorstellung eines kreativen Schmelztiegels, dessen Teil ich sein kann. Dass man hier als Künstler leicht akzeptiert wird.

Als praktisch veranlagte Person, begann ich schnell, Kontakt zu Autoren zu suchen. Das war mir sehr wichtig, denn Schreiben ist eine einsame Tätigkeit. Eine meiner ersten Aktivitäten in Berlin war die Gründung einer Schreibgruppe. Da kommen einmal pro Woche Leute zusammen und schreiben. Hinterher gibt es die Möglichkeit für Gespräche und Austausch. So traf ich Menschen, die ähnliche Interessen haben und mit denen ich über die Dinge reden kann, die mich beschäftigen. Viele meiner Freunde habe ich über die Autorencommunity kennen gelernt. Wenn etwas schwierig oder stressig wird, ist es gut, Leute zu haben, mit denen man darüber sprechen kann. Auf diese Art bekommt man Unterstützung oder zumindest das erleichternde Gefühl, nicht allein zu sein.

Alles in allem kann ich sagen, dass ich es geschafft habe, meinen Schwerpunkt mehr aufs Schreiben zu verlegen. In Sydney habe ich fünf Tage pro Woche gearbeitet und nur am Wochenende geschrieben. Hier kann ich es – im besten Fall – umdrehen: Ich schreibe fünf Tage und arbeite an nur zwei Tagen für meinen Lebensunterhalt.

Ich hatte auch die Idee, einige Projekte zu realisieren, die ich schon lange gern gemacht hätte, aber für die ich in Australien nie die Zeit hatte. Kleine Projekte, bei denen es nicht ums Geldverdienen geht oder um das eine große Schreibprojekt. Einfach kleine Dinge, nur um der Freude an der Sache willen.

Wie Dein Projekt ‚Poem Planting‘?

Ja, das ist eines von diesen Projekten.

Erzähl!

Die Idee zu diesem Projekt entstand, als ich einmal in den Southern Highlands ein Second-Hand-Buch kaufte. Es war „Howards End“ von E.M. Foster, einem meiner Lieblingsautoren. Irgendjemand hatte in dieses Buch ein Gedicht gesteckt. Ich habe mich gefragt, ob jemand es als Lesezeichen benutzt hat, oder ob es bewusst dort versteckt worden war, damit jemand anders es findet. Weil zu dem Gedicht weder Name noch Autor genannt wurden, machte ich mich auf die Suche danach. Mir gefiel dieser Prozess der Beschäftigung damit, das war ein schönes, kleines Abenteuer. Ich dachte, wäre es nicht toll, wenn dies immer wieder Leuten geschehen würde: Dass sie ein Gedicht irgendwo finden. Für keinen besonderen Zweck, nur um es zu lesen und vielleicht berührt oder unterhalten zu werden.

Jedenfalls war ich davon so angetan, dass ich beschloss, ein Projekt „Poetry Planting“ ins Leben zu rufen. Hier in Berlin habe ich endlich damit begonnen, einhundert Gedichte von mehr oder weniger bekannten Dichtern – nicht von mir, denn ich schreibe keine Gedichte – aufzuschreiben und in Berlin zu verstecken. Für Leute, die es finden und lesen. Auf den Blättern sind der Name des Dichters, der Titel des Gedichts, sowie das Gedicht selbst zu lesen. Und es gibt einen Verweis auf die Homepage des Projektes. Die Idee ist, dass Leute das Gedicht finden, sich auf der Homepage über das Projekt informieren und angeregt werden, selbst Teil des Projekts zu werden, also Gedichte in der Stadt zu verteilen. Vielleicht auch in anderen Städten, das ist meine Hoffnung.

Lass uns noch einmal auf Australien zurückkommen! Am letzten Wochenende hast Du Dich über eine Nachricht von dort besonders gefreut. Was war das?

In Australien habe ich für die Australian Society of Authors gearbeitet, eine Vereinigung, die sich für die Rechte von Buchautoren einsetzt. Ein Teil meiner Arbeit bestand darin, Autoren über Verträge, Autorenrechte und unterstützende Maßnahmen für ihre Karriere wie Veröffentlichungsmöglichkeiten oder Stipendiumsbewerbungen zu beraten. Besonders viel Energie hat mich die Aufklärungsarbeit zu Vanity Publishern gekostet. Wir haben in Australien einige Firmen, die sich zwar noch in der Legalität, aber weit von den im Verlagsgeschäft üblichen Gepflogenheiten bewegen.

Ja, das kennen wir in Deutschland auch. Hier nennt man die Firmen Druckkostenzuschussverlage.

Ja, leider gibt es die wohl überall. Viele Autoren, die ihre Werke bei diesen Firmen eingereicht hatten, wähnten sich am Ziel ihrer Träume und glaubten, einen großartigen Vertrag erhalten zu haben, bei dem sie für die Publikation ihres Werkes nur 15.000 Dollar bezahlen sollten.

Jedenfalls hat ein unabhängiger Journalist über einige dieser Firmen recherchiert und, nachdem es dazu eine Radiosendung gegeben hat, hat eine dieser Firmen – eine, von der ich oft und besonders engagiert abgeraten habe – Konkurs angemeldet. Darüber habe ich mich gefreut, auch wenn mir natürlich klar ist, dass es noch immer eine Menge dieser Firmen gibt.

Leider ist dein Deutsch nicht gut genug, um den Witz von Rico Beutlich zu verstehen, eine Figur, die die 42er erfunden haben, um die Praktiken solcher Firmen zu entlarven. Aber vielleicht eines Tages? Hast du vor, Deutsch zu lernen?

Leider hat mein Deutsch noch keine großen Fortschritte gemacht. Aber mein Ziel ist es, eines Tages deutsche Gedichte lesen zu können.

Danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Dorrit Bartel.

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