Herbstliebe

„Wenn ich was mit ihnen habe, liebe ich sie immer. Sehr sogar!“ – so rechtfertigte vor Jahren einmal ein Freund seinen von mir bekrittelten Frauenverbrauch, und ich gestehe, wenn es um die Jahreszeiten geht, fühle ich mit ihm. Die aktuelle ist mir immer die liebste – selbst die extreme Sommerhitze mit tropischen Nächten und verdorrtem Gras mag ich, zumindest solange sie sich nicht über Wochen zieht. Auch dem matschig, schlammigen Februar mit seinem Eisnebel kann ich viel abgewinnen, und noch nicht einmal der November, kalt, nass und meistens grau, schreckt mich. Am liebsten von allen ist mir aber der September. Er hat für mich alles, meistens Sonne, und wenn die nicht, dann zumindest Sonnenblumen, Äpfel frisch vom Baum und überhaupt das ganze Obst. Auf dem Markt brechen jetzt die Stände, Tomaten, Zucchini, Heidelbeeren und die Trauben erst. Wer das ganze Jahr nicht auf den Wochenmarkt geht, hat jetzt die Gelegenheit, eine Ausnahme zu machen, der Trauben wegen. Nirgendwo sonst bekommen Sie so wundervolle Muskateller! Und von den Trauben gleich zur nächsten Freude des Herbstes, dem Federweißen. Inzwischen gibt es den sogar im Supermarkt, und der schmeckt mir persönlich auch am besten, auch wenn der Mann in der Saftkelter immer etwas vergrätzt guckt, wenn wir nur Apfelsaft holen. Frischer Apfelsaft! Gibt es etwas Köstlicheres? Dazu ein Buch und ein Liegestuhl im sich herbstlich einfärbenden Garten – denn im Garten gibt es im September ausnahmsweise auch mal nicht ganz so viel zu tun, das kommt erst wieder, wenn im Oktober die Wintervorbereitungen drohen. Nun aber ist Zeit für Septemberromane – die sollten für mich persönlich ein bisschen ernst, aber nicht taschentuchbedürftig traurig sein. Aktuell habe ich mit großem Genuss Villazons Amadeus auf dem Fahrrad gelesen, eine zauberhafte Geschichte über die Liebe zu den Frauen, zur Musik und zu einer kleinen Schnecke. Grade so skurril, dass man es glauben kann, wenn man denn will. Ein Septemberklassiker ist für mich das hier bereits oft erwähnte Wiedersehen mit Brideshead von Evelyn Waugh – so melancholisch und adjektivreich besingt kein anderer Freundschaft, Katholizismus und den Untergang des britischen Landadels. Auch ein schöner Simenon-Krimi bietet sich im September an, aber da muss man Vorsicht walten lassen – besonders das Spätwerk ist dem Autor oft ein wenig düster geraten, und da wären wir fast schon in der Lektüre für den melancholisch, nassen November. Jetzt aber genieße ich erst einmal die herbstliche Üppigkeit, vermutlich als Nächstes mit Joseph Roths Hotel Savoy – wer Roth kennt, der weiß, hier gibt es Sprachgenuss satt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen zauberhaften Herbst!

Ihre
Joan Weng

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