Horst-Dieter liest: Klaus Modick – Fahrtwind

Darauf muss man erst einmal kommen, Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ neu zu erzählen. Klaus Modick hatte diese Idee schon länger mit sich herumgetragen, bevor er sie in Angriff nahm. Er wählte dazu eine nähere Vergangenheit als das 19. Jahrhundert, in der Eichendorffs Novelle spielt: die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Selten habe ich ein Buch so vorurteilsbelastet zur Hand genommen. Allein die Neugierde trieb mich aber doch zur Lektüre. Und was soll ich sagen? Obwohl ich die meisten meiner Vorurteile – etwa: zu nah am Original, Lyrik nicht annähernd so gut wie die von Eichendorff, in romantischer Stimmung –  letztendlich bestätigt sah, habe ich das Buch doch mit Vergnügen gelesen und die Lektüre nicht bereut.

Modick hält sich an die Linie, die Eichendorff vorgibt: Ein gelangweilter Sohn eines Heizungsmonteurs (bei Eichendorff ist es ein Müller) hat keine Lust, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, und macht sich auf die Reise in den Süden. Mit seiner Gitarre zieht er los, was für die Siebziger Jahre passender ist als eine Geige. Er wird von zwei Damen in einem Mercedes aufgegriffen (bei Eichendorff einer Kutsche) nachdem er ihnen bei seiner Straßenmusik aufgefallen ist. Sie nehmen ihn mit nach Wien, wo er in einem mondänen Hotel (bei Eichendorff einem Schloss) für musikalische Stimmung sorgen und ein bisschen im Garten arbeiten soll. Ungeachtet seines Status‘ als Habenichts verliebt er sich in die jüngere der beiden Damen, kommt aber nicht wirklich zum Zuge, so dass er sich nach einer merkwürdigen Nacht davonmacht. Zwei Biker nehmen ihn mit und spannen ihn für ihre eigenen Ziele ein. Letztendlich geht es also zu wie bei Eichendorf, allerdings gut hundert Jahre später. Auch hat Modick die sehr verwickelte Handlung des Originals etwas entwirrt, was der Geschichte gutgetan hat. Die Novelle wird durchzogen von Gedichten oder besser gesagt Songs, die der moderne Taugenichts erdichtet. Sie haben nicht die Qualität wie Eichendorffs Lyrik (eines meiner Vorurteile vor der Lektüre), passen aber hervorragend zur neuen Geschichte, weshalb mich das nicht sehr störte. Dass ein Straßenmusiker mit Akustikklampfe von jetzt auf gleich die Leadgitarre in einer Band übernimmt, wie bei Modick, ist auch so ein Schwachpunkt in der Konstruktion. Doch das störte mich schließlich nicht weiter, weil alles so prima und nahtlos zusammenpasst, da will man großzügig annehmen, dass das doch irgendwie möglich war. Auch in der Sprache hat sich Modick den Siebzigern angepasst. Das meiste klingt authentisch, manchmal aber dann doch nicht. Das alles trübt den Lesegenuss nicht. Modicks „Fahrtwind“ ist vielleicht nicht so literarisch bedeutsam wie Eichendorffs Novelle, aber sie macht Spaß und ist – obwohl die Geschichte geklaut ist – originell

Ihr Horst-Dieter Radke

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