Für das Abendessen war die Auswahl nicht groß. Uns lag nicht daran, möglichst viel auszuprobieren. Wir waren pragmatisch und wollten keine Zeit mit langer Suche verlieren. Direkt vor unserem Hotel gab es einen Schlachter, in dessen Küche ein frisch geschlachtetes Rind hing. Erst wenn Fleisch bestellt wurde, schnitt der Schlachter von diesem etwas ab. Hier kamen viele Äthiopier her, um frisches, rohes Fleisch zu essen. Dazu konnte ich mich nicht überwinden, was Adane eigenartig fand, schließlich würde ich doch zu Hause auch rohes Hackfleisch essen. Stimmt. Trotzdem nahmen wir die gegrillte Variante, bei der die Fleischwürfel auf einem Stövchen serviert werden. Auch hier bekamen wir ein Stövchen für uns zwei, manchmal, wenn Adanes Nichte uns zum Essen Gesellschaft leistete, bestellten wir ein großes, von dem wir alle mit den Fingern aßen.
An den anderen Abenden gingen wir in die Bar eines Freundes, vor allem zum Trinken. Denn wer die aphrodisische Wirkung des Kath neutralisieren will, hat neben der naheliegenden Möglichkeit eine zweite: Alkohol. So besuchten wir abends die Bar – ich blieb zumeist bei Bier, Adane trank zwei, drei Gin. Am ersten Abend stellte uns der Barbesitzer nach einer Weile einen Teller auf den Tisch: Bohnen mit Kartoffeln, dazu ein Stück Weißbrot, denn Besteck ist in Äthiopien unüblich. Ich hatte nichts bestellt und bekam die Speise als Geschenk des Hauses. Nach dem ersten Bissen war ich total überrascht, denn dieses einfache Gericht war so lecker, dass ich es von nun an fast jeden Abend essen wollte und mich nur ungern von Adane überreden ließ, ab und zu im Hotel Fleisch zu essen. Vielleicht war es, weil Bohnen mit Kartoffeln mich nach all dem fremden Essen mit dem Brot Injera an zu Hause erinnerten. An manchen Tagen sehnte ich mich nach meinem eigenen Leben. Bezahlt habe ich die Bohnen mit Kartoffeln nur ein oder zwei Mal, Adane sagte, es koste so wenig, dass es dem Barbesitzer peinlich sei, es auf die Rechnung zu setzen. Überhaupt waren die Menschen großzügig, die Männer gaben mir hin und wieder ein Bier oder einen Kaffee aus. Sie schienen mich nicht als „laufende Geldbörse“ zu betrachten, wie Weiße manchmal genannt werden. Sie hatten sich auch daran gewöhnt, dass ich an den Abenden manchmal mein Notizheft hervorzog, um etwas von dem zu notieren, was Adane mir „off the record“ erzählte. Obwohl es im Hof der Bar meist sehr dunkel war und ich bei dem spärlichen Licht, das vom Tresen herüberleuchtete, nur wenige Notizen machen konnte. Über Musik, Filme, Lieblingsschauspieler. Dinge, die man – laut Schreibratgebern – seine Hauptfigur fragen soll, um sie authentisch beschreiben zu können. Manchmal insistierte ich auf Zeiten in Adanes Leben, über die er bislang nur wenig erzählt hatte. Mit einem verschmitzten Grinsen sagte er: „Dann musst du das eben füllen, du bist doch die Schriftstellerin.“ Ich bin froh und dankbar, dass Adane mir vertraut und sicher ist, dass ich seine Geschichte gut aufschreibe. Dass ich die richtigen Szenen finden werde, um die Stellen zu füllen, an die er sich nicht erinnert. Und aus dem, was er mir erzählt hat, die richtige Geschichte machen werde.
Nach zwei, drei Stunden bei Bohnen, Bier und Gin fuhren wir ins Hotel, durch die vollkommen dunkle Stadt, in der nur noch hier und da ein paar Bars oder Imbissstände geöffnet hatten. Im Hotel gönnten wir uns einen Absacker, der letzte Gin des Tages war ein weiteres gemeinsames Ritual. Der äthiopische Gin ist wohltuend weich, ich habe mir eine Flasche mitgebracht und gönne mir auch zu Hause manchmal einen Absacker. Er schmeckt nach Wärme und Gelassenheit, nach Zuhören und nach spannenden, fremden Erinnerungen, die darauf warten, in eine literarische Form gebracht zu werden.
Inspirierte Grüße
Ihre Dorrit Bartel
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