Joan liest gerade vor: Astrid Lindgren – Der Drache mit den roten Augen

Vor ein paar Tagen traf mich eine erschreckende Erkenntnis: Meine Schwägerin hasst mich! Und gleich dem Protagonisten aus Edgar Alan Poes Das Fass Amontillado verbirgt sie ihren Hass hinter der Maske scheinbarer Freundlichkeit. Aber meine Schwägerin plant nicht, mich einzumauern, ihre Absichten sind subtiler, sie hat es auf meine geistige Gesundheit abgesehen!

Als sie meinem Sohn zur Geburt seines Bruders Wie man ein Wollnashorn wäscht schenkte, ahnte ich bereits ihre finsteren Gedanken – ganze zehn Male musste ich meinem Sohn diese sinnbefreite Geschichte über, nun ja, eben das Waschen eines Wollnashorns vorlesen, allein am ersten Tag! Aber ich wollte an einen Zufall glauben.

Doch jetzt zu Ostern ist sie zu weit gegangen, ich habe sie durchschaut! Astrid Lindgrens Der Drache mit den roten Augen hat sie uns geschenkt. Eine reizende Erzählung über die Freundschaft eines Geschwisterpaars zu einem kleinen Drachen. Sie füttern ihn mit Kerzenwachs und Docht, beobachten ihn beim Bad im Schweinetrog und müssen am Ende Abschied nehmen. Eine unaufgeregte, zeitlose Geschichte mit leiser Moral, die sich von der Lesemenge an die 4- bis 5-Jährigen wendet. Wirklich ein schönes Buch – doch dann musste ich es gleich nach dem Auspacken dreimal vorlesen. Danach weigerte ich mich, mein Mann übernahm, nach zwei Malen löste ich ihn wieder ab. Ich weiß nicht, nach wie vielen Wiederholungen ich schließlich aufhören durfte, doch es hat gereicht. Der diabolische Plan meiner Schwägerin funktioniert! Als ich etwas später am Tag Kerzen austauschte, dachte ich: „Die Stummel hebst auf, die kannst du nachher dem Drachen füttern!“

Ihre Joan Weng

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