Latest Publications

Weiterfahren, auch wenn der Tank fast leer ist

Ein Gastbeitrag von Tom Liehr

Der Musikgeschmack meines zehn Jahre älteren großen Bruders und der meine verhielten sich seit jeher divergent. Tatsächlich war er, den ich jederzeit bewundert habe (woran sich bis heute nichts geändert hat), für eine Weile (und nicht nur zu meiner ganz erheblichen Irritation) ein großer Fan des deutschen Bandleaders „James Last“, der vor allem in den Siebzigerjahren mit seinen seichten Orchester-Versionen von Pop- und Volksmusik Furore machte und es irgendwann sogar zu einem Auftritt in der Londoner Royal Albert Hall brachte. Ich hielt von dieser Musik damals nichts, woran sich bis heute nichts geändert hat. Meine von Jugend an gehegte Befürchtung, man würde mit dem Älterwerden neben anderen Geschmäckern auch den für gute Musik einbüßen, hat sich bislang glücklicherweise nicht bewahrheitet (auch bei den anderen Geschmäckern ist noch alles im Lot).

(mehr …)

Renaissance – First

Von den üblichen Schülergedichten und kurzen Texten einmal abgesehen, begann mein ambitioniertes Schreiben 1970, und zwar mit einer Schallplatte der britischen Progressive-Rock-Band »Renaissance«. Keith Relf und Jim McCarty hatten sie nach der Auflösung von »The Yardbirds« gegründet. Relf brachte seine Schwester Jane als Sängerin mit in die Band und John Hawken, ein klassisch ausgebildeter Pianist, sowie Louis Cennamo am Bass vervollständigten die Truppe. Heraus kam eine Mischung aus Rock, Pop und Klassik, die sich hören lassen konnte. Das erste Album »First« konnte überzeugen, was wohl auch daran lag, dass vier der fünf Songs von Relf & McCarty geschrieben wurden, einer von Hawken & McCarty. (mehr …)

Kiss me – oder warum ich zum ersten Mal seit 25 Jahren an Timo F.s Sommersprossen gedacht habe

80 Prozent aller Frauen der Jahrgänge 1980 bis 1984 erlebten ihren ersten Kuss zu „Kiss Me“ von Sixpence None the Richer – das ergab eine keineswegs repräsentative und zudem nicht anonyme Umfrage unter vier meiner besten Freundinnen.

Ein interessantes Detail: Immerhin 60 Prozent der Befragten nannten dabei denselben Partner – Timo F., den mit den Sommersprossen, den aus der Theater-AG.

Doch das ist nebensächlich, denn in der neuen Sonntagsserie soll es nicht um Timos unleugbare Beliebtheit bei der Damenwelt gehen, sondern um Musik!

Um die Musik einer Zeit, einer Generation – oder ganz persönlicher Momente.
Um jene Lieder also, die uns begleitet, geprägt und inspiriert haben.

Melodien, bei den wir, sobald die ersten Takte erklingen, unwillkürlich ans Schreiben denken: an ein Kapitel, einen Roman – oder vielleicht nur an den Schatten einer Idee. Musik, die inspiriert hat und es vielleicht sogar noch tut.

In diesem Sinne: „Strike up the band and make the fireflies dance …“

Ab morgen in der neuen Sonntagsserie: Bohemian Rhapsody 4.2

Joan Weng


Totes Holz und Fabelwesen

Küstensommer. Wetterglück. Nahezu jeden Tag sind wir gewandert: durch Dünen und Wäldchen, über Heide und Strand, zum Nachbarort oder einfach so mal hier im Kreis, mal dort im Kreis. Und dann, eines Tages, entdecken wir den Hirschbaum, der fest im Erdreich wurzelt. Kein Blättchen, kein Trieb verrät mehr Leben, aber deutlich zu erkennen sind der Hirschkopf, das Geweih.

Der Hirschbaum weckt das Kind Paula in mir.

„Schau! Ein verzauberter Hirsch!“, rufe ich.

„Natürlich“, sagt mein Mann und fügt noch hinzu: „Und vorher war er ein Prinz.“ Ich strecke ihm die Zunge raus. Aber als ich ein Foto vom Hirschbaum mache, zückt auch er sein Handy.

(mehr …)

Der grimmige König

Es war einmal ein grimmiger König, der hatte allen in seinem Königreich verboten zu lachen. Selbst die Tiere durften keinen Laut von sich geben und sogar Blumen und alle anderen schönen Dinge waren verboten. Die Menschen lebten arm und einsam und niemand traute sich in das Königreich des grimmigen Königs hinein. Sogar die Sonne, so schien es, machte einen Bogen um dieses Stück Erde oder versteckte sich lieber hinter eine Wolke. So lag das Land lautlos und ohne Freude in grimmiger Einsamkeit.

(mehr …)

Der kleine Kolibri

Es lebte einst ein Kolibri in einem Wald. Die Bäume breiteten ihre weiten Kronen majestätisch unter dem Himmel aus und waren viele Jahre alt.

Im schönsten Baum wohnte der Kolibri. Glücklich saß er schon am frühen Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen über die Blätter tasteten, auf dem höchsten Ast. Die Bäume leuchteten in einem tiefen Grün und das Gefieder des Vogels funkelte in allen Farben im Licht.

(mehr …)

Die Geschichte vom kleinen Muck

Der Geschichte zweiter Teil

nacherzählt von Monika Detering

Am nächsten Morgen, als man ihm sein Todesurteil verkündete, reifte in ihm die Erkenntnis: Lieber ohne Zauber leben, als damit zu sterben. Er ersuchte den König um geheimes Gehör und offenbarte sein magisches Können. Der Herrscher hörte zwar skeptisch zu, doch Muck bat um eine Probe und bestand auf der lebensrettenden Zusicherung. Der König gab sein Wort.

Unbemerkt konnte er im Schlossgarten einige Goldstücke vergraben und forderte Muck auf, sie mit seinem Stäbchen zu finden. In wenigen Augenblicken schlug der Zauberstab dreimal gegen die Erde und wies so auf das Versteck hin.

Da dämmerte dem König, dass ihn sein Schatzmeister betrogen hatte. Zornig ließ er ihm eine seidene Schlinge schicken, damit er seinem Leben selbst ein Ende mache. Dem kleinen Muck aber verkündete er: „Dein Leben ist dir sicher, doch scheint mir, du hütetest nicht nur das Geheimnis des Stäbchens. Solltest du mir nicht verraten, wie du so flink dahinsaust, bleibst du auf ewig im Kerker.“

Die einsame Nacht in den kalten Mauern hatte Muck jegliche Lust an weiterem Dasein dort benommen. Zögernd gestand er, seine wahre Kraft liege allein in den Pantoffeln – das Geheimnis des dreimaligen Drehens auf dem Absatz aber schwieg er weiter.

Neugierig zog der König selbst die magischen Pantoffeln an und stürmte in den Palastgarten hinaus. Er wirbelte im Kreis, so rasch und ungestüm, dass er weder Halt noch Mäßigung kannte. Immer wieder wollte er innehalten, doch es gelang ihm nicht, bis er schließlich vor Erschöpfung zusammensank. Als der König seine Sinne wiederfand, wallte unbändige Wut in ihm auf. Er hatte dem kleinen Muck sein Wort gegeben, doch fühlte er sich übervorteilt. „Innerhalb von zwölf Stunden musst du mein Reich verlassen“, donnerte er. „Tust du es nicht, so lasse ich dich aufknüpfen.“ Pantoffeln und Stäbchen ließ er in die verschlossene Schatzkammer schaffen.

Ärmer denn je wanderte der kleine Muck hinaus an die frische Luft, die Schmach seiner eigenen Leichtsinnigkeit lastete schwer. Glücklicherweise war das Königreich klein, und schon nach acht Stunden erreichte er die Grenze, wenn auch das Gehen ihm ohne seine geliebten Pantoffeln qualvoll erschien.

Er verließ die Handelswege und begab sich in die Einsamkeit des Waldes. Menschen mied er ab jetzt. Bald stieß er auf eine Lichtung, wo ein Bach von schattigen Feigenbäumen umsäumt floss und weicher Rasen wuchs. Dort legte er sich nieder, fest entschlossen, keine Speise mehr zu sich zu nehmen und sein Leben ausklingen zu lassen. Traurige Gedanken wiegten ihn in den Schlaf. Erst als der knurrende Magen ihn quälte, erwachte er und erkannte: Ein Hungertod ist heimtückisch. Er richtete sich auf und suchte nach irgendetwas Essbarem, das ihm neue Kraft schenken könnte.

Am nächsten Morgen entdeckte der kleine Muck köstlich reife Feigen an dem Baum, unter dem er geruht hatte. Behände schwang er sich hinauf, pflückte sich eine Handvoll und ließ sich das saftige Fruchtfleisch wohlig schmecken. Dann stieg er herab und ging zum Bach, um seinen Durst zu stillen. Doch beim Blick ins Wasser erstarrte er vor Entsetzen: Zwei mächtige Ohren ragten seitlich von seinem Kopf, und eine dicke, lange Nase hing ihm ins Gesicht. Er tunkte die Finger ins kühle Nass und strich prüfend über die Ohren – sie reichten über eine halbe Elle hinaus!

„Eselsohren habe ich wohl verdient“, klagte er laut, „denn wie ein Esel trat ich mein Glück mit Füßen!“ Betrübt wanderte er weiter, suchte Halt in den Baumkronen und hatte bald wieder Hunger. Rasch kletterte er zurück zu den Feigen – denn an nichts anderem war Nahrung zu entdecken – und verzehrte eine zweite Portion. Mitten im Schlemmen kam ihm der Gedanke: Passen die absonderlichen Ohren wohl unter meinen großen Turban? Er tastete an seinem Schädel – und siehe da: Die Ohren waren verschwunden, ebenso die unförmige Nase! Triumphierend stürzte er zum Bach, bewunderte sein ursprüngliches Gesicht und erkannte die Wahrheit: Der erste Feigenbaum hatte ihn verunstaltet, die Früchte des zweiten Baumes hatten ihn geheilt.

Dankbar sammelte er so viele Feigen von beiden Bäumen, wie er tragen konnte, und machte sich auf den Rückweg ins Königreich. Im ersten Städtchen verkleidete er sich mit fremden Gewändern und schritt dann weiter zum Palast.

Es war gerade eine Jahreszeit, in der reife Früchte nur selten zu finden waren. Deshalb setzte sich der kleine Muck unterm Tor des Palastes nieder, denn er wusste aus früheren Tagen, dass der Küchenmeister dort gern ungewöhnliche Leckereien für die königliche Tafel einkaufte. Muck hatte kaum Platz genommen, als der Küchenmeister Ahuli über den Hof schritt und prüfend an den Körbchen der Händler vorbeiging. Endlich blieb sein Blick an Mucks Körbchen mit den kostbaren Feigen hängen. „Ah, ein seltener Genuss, der dem König gefallen wird“, sagte er. „Was verlangst du für den ganzen Korb?“

Der kleine Muck nannte einen bescheidenen Preis, und bald hatten sie sich geeinigt. Ahuli übergab seinem Sklaven den Korb und zog weiter. Muck aber schlich sich unbemerkt davon, aus Angst, man könnte ihn später als den Verkäufer dieser Früchte erkennen und bestrafen.

Am Abend bei Tisch war der König bester Laune. Er pries die Kochkunst seines Küchenmeisters und lobte seine Gewohnheit, stets nur das Seltenste zu beschaffen. Ahuli lächelte geheimnisvoll und ließ nur Andeutungen fallen wie: „Der Abend ist noch jung“ oder „Ende gut, alles gut“, wodurch die Prinzessinnen neugierig wurden. Als schließlich die schönen, saftigen Feigen aufgetragen wurden, entfuhr allen Anwesenden ein staunendes „Ah!“ „Wie reif, wie köstlich!“ rief der König. „Küchenmeister, du bist ein wahrer Meister und verdienst unsere besondere Gunst!“

Der König verteilte die Feigen: Jeder Prinz und jede Prinzessin erhielten zwei, die Hofdamen und die Wesire sowie Agas je eine. Die übrigen Früchte ließ er vor sich hinstellen und kostete sie mit größtem Vergnügen.

Als die Prinzessin Amarza plötzlich rief: „Aber, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?“, herrschte Totenstille unter den Anwesenden. Der König starrte auf sein Spiegelbild, und ungeheure große Ohren hingen ihm herab, eine lange Nase reichte bis zu seinem Kinn. Auch alle Anwesenden betrachteten sich bestürzt und entdeckten, dass sie gleichermaßen von dieser seltsamen Verwandlung erfasst waren.

Ein entsetztes Raunen war zu hören und schnell wurden etliche Ärzte gerufen. Sie kamen im Dutzend, verabreichten Pillen, Salben und Mixturen, doch die Ohren und die Nase blieben. Selbst eine riskante Operation an einem der Prinzen zeigte keinen dauerhaften Erfolg, denn nach kurzer Zeit wuchsen die grotesken Merkmale erneut.

In seinem Versteck hatte der kleine Muck das Wehklagen des Hofes vernommen und wusste, dass der Augenblick für sein Eingreifen gekommen war. Mit dem Geld aus dem Feigenverkauf hatte er sich Kleider eines Gelehrten und einen Ziegenbart besorgt. Ein Säckchen voller Feigen unterm Arm, trat er als „fremder Arzt“ im Palast auf und bot seine Hilfe an.

Zunächst begegnete man ihm sehr skeptisch. Doch als er einem entstellten Prinzen eine Feige reichte und das Kind augenblicklich wieder sein ursprüngliches Gesicht erhielt, brachen alle Dämme. Hofdamen, Fürsten und Prinzessinnen flehten um Heilung, und der König versprach ihm jeden Wunsch aus seiner Schatzkammer. Der Monarch führte den vermeintlichen Heiler durch eine verborgene Tür in die Kammer voller Juwelen und Gold, ließ ihn vor den kostbaren Schätzen wählen. Doch kaum erblickte Muck seine eigenen Pantoffeln und sein Stäbchen am Boden, schlüpfte er hinein, riss den Ziegenbart herab und offenbarte sein wahres Gesicht. „Treuloser König“, rief er, „der du gute Dienste mit Undank lohnst, nimm die Verunstaltung, die du im Gesicht trägst, als Mahnung für deine Undankbarkeit!“ Mit einem mächtigen Schwung seines Stäbchens ließ er alle Auswüchse verschwinden, ließ ihm jedoch die großen Ohren als tägliche Erinnerung an den kleinen Muck zurück.

Noch ehe der König um Hilfe rufen konnte, hatte sich der kleine Muck davongemacht. Fortan lebte er zurückgezogen und wohlhabend, doch einsam, denn er verachtete die Menschen. Durch seine Erlebnisse war er weise geworden, und obwohl sein Äußeres nach wie vor ungewöhnlich wirkte, verdiente er mit der Zeit mehr Bewunderung und Respekt als albernen Spott.

Quelle: Wilhelm Hauff

Die Geschichte von dem kleinen Muck

Der Geschichte erster Teil,

nacherzählt von Monika Detering

Ich lebte in Nicea, und muss gestehen, dass ich mich, seitdem ich als sehr junger Mensch diesen kleinen Mann gesehen hatte, mich sehr über ihn lustig machte. Einmal hatte mich mein Vater bei meinem Spottgesang über ihn erwischt, und habe gedacht, jetzt er schlägt mich tot.

Der komische Mann hieß für uns alle der kleine Muck. Er muss schon damals recht alt gewesen sein, so viele Falten, wie er hatte. Ich konnte nicht begreifen, dass ein Mensch nur ungefähr vier Fuß hoch war, und alles an ihm war so zierlich, bis auf seinen Kopf, meine Güte, war dieser Kopf gewaltig. Er schien kaum Kontakt mit anderen Menschen zu haben, wohnte ganz für sich in einem Haus, und es wurde erzählt, dass er sogar für sich selbst kochte. Man stelle sich das vor. Ein Mann, der kocht! Ich hatte herausgefunden, dass er ungefähr alle vier Wochen ausging und damit wusste ich, dass er noch lebte. Und die anderen wussten es dann auch, weil ich es brühwarm allen erzählte. Und ich fand heraus, dass er am Abend auf dem Dach seines Hauses hin- und her spazierte, nur sah es wieder so komisch aus, wenn ich ihn von unten betrachtete. Ich rief meine Freunde aus den benachbarten Straßen zusammen und wir lachten uns kaputt, denn es sah aus, als würde nur sein großer Kopf spazieren gehen.

(mehr …)

 Reise zum Mittelpunkt des Vernianismus

Voyages extraordinaires waren es nicht unbedingt, die rund 30 Mitglieder aus ganz Deutschland auf sich nehmen mussten, als sie vom 5. bis 7. September 2025 nach Bremerhaven aufbrachen, um am Stammsitz des Vereins das 25jährige Jubiläum des Jules-Vernes-Clubs feierlich zu begehen. Der Club zählt im Moment 150 Mitglieder.

Jules Verne (1828 – 1905) im Jahr 1874 (Kopie vom Originalfoto von Andreas Fehrmann
Jules Verne (1828 – 1905) im Jahr 1874 (Kopie vom Originalfoto von Andreas Fehrmann)
(mehr …)

Die Wundermelodie

Maurice Connor galt als der tüchtigste Flötenspieler in ganz Munster. Es gab kein Lied, das er nicht kannte, und was das Merkwürdigste war, er konnte einen Tanz spielen, der alles um ihn herum auf die Füße brachte. Alle mussten im Takt mit hüpfen. Nie wurde eine Hochzeit oder Kindstaufe gefeiert, bei der er nicht eingeladen war.

Da er blind war, so führte ihn seine alte Mutter gewöhnlich hin.

(mehr …)